herr boe
Kleiner Grenzverkehr, Teil 2
Kleiner Grenzverkehr, Teil 2
Man darf das jetzt nicht so formulieren, dass ich Schwierigkeiten bei der Einreise nach Paraguay gehabt hätte. Es verhält sich eher so, dass ich Schwierigkeiten bei der Ausreise aus Brasilien gehabt hatte.
Mein Weg führte mich nach meinem Pantanal-Aufenthalt und meinem Start ins Neue Jahr in Bonito am 2.Januar nach Bela Vista, dem nächsten Grenzort. Es handelt sich um einen kleinen Grenzübergang. Also hatte ich mich vorher bei Leuten in Bonito als auch im Internet erkundigt, ob ich dort auch die Grenze passieren konnte. Da kann man sich ja nie richtig sicher sein. Ich bestieg meinen Bus um 8:00, musste noch einmal nach 2 Stunden Wartezeit in Jardím umsteigen und war dann gegen 13 Uhr in Bela Vista angekommen.
Ich wollte mich nicht lange aufhalten, sondern schnappte mir ein Taxi und versuchte dem Fahrer mit meinen begrenzten, zu 104% auf dem Spanischen beruhenden Portugiesisch-Kenntnissen klarzumachen, dass ich an die Grenze wollte. Der nickte das überzeugend ab und wir fuhren los. Als wir nach einer Weile ein verdächtig nach einem Grenzgebäude aussehendes Grenzgebäude passierten, fragte ich vorsichtig, ob hier die nicht vielleicht die Grenze sei. Ich wiederholte mehrfach das Wort „sello“, was zumindest im Spanischen Stempel bedeutet. Er sagte Jaja und fuhr weiter über eine Brücke. Aha! Drei Minuten später hielten wir in einer Einkaufstraße eines kleinen Ortes auf der paraguayischen Seite direkt vor einer Geldwechselstube. Stolz lächelte mich mein Fahrer an. Ich erklärte ihm, dass ich einen Stempel für meinen Reisepass bräuchte, weil ich sonst später Probleme bekommen könnte, zum Beispiel bei der Ausreise. Jetzt machte sein Gesicht Aha!
Zwei Minuten später hielten wir vor einem kleinen Gebäude am Straßenrand, noch auf der Seite Paraguays. Ich versuchte einen vorsichtigen Einwand „Sello de Saida“, was Ausreisestempel auf Portunhol heißt, so wird das Sprachgemisch aus Portugiesisch und Spanisch hier liebevoll genannt. Mein Taxifahrer war aber schon halb im Gebäude. Na gut! Ich folgte und durfte endlich mal wieder guten Gewissens jemanden auf Spanisch anreden. Der Grenzbeamte bestätigte mir, dass ich hier meinen Einreisestempel bekommen könnte. Ja, schön, aber ich bräuchte ja noch einen Ausreisestempel Brasiliens, nicht wahr? Ja, aber den gebe es auf der anderen Seite nicht, war die Antwort. Bitte was? Dafür müsse ich nach Ponta Pora. Das ist der nächste Grenzübergang zwei Busstunden weiter südlich. Ja wie, Moment, noch mal zum Mitdenken und Nachvollziehen. Auf der einen Seite der Grenze gibt es Stempel und bei den Kollegen von anderen Seite gibt es keine? Ja, das habe ich richtig verstanden und schön zusammengefasst.
Ich hatte vorher schon gelesen und gehört, dass die Brasilianer an der Grenze wenig Spaß verstehen, wenn ein Stempel fehlen würde. Und hier war ihnen plötzlich alles egal…? Da ich aber die Absicht hatte, in ein paar Tagen wieder nach Brasilien einzureisen und zwar nicht über diesen putzigen Grenzübergang, würde der fehlende Ausreisestempel unter Umständen Scherereien bedeuten. Auch diese Vermutung konnte mir der paraguayische Grenzer bestätigen. Ich müsse, um meine Papiere in Ordnung zu halten, über Ponta Pora einreisen.
Und so kutschierte mich mein Taxifahrer nach einem Kurzaufenthalt auf paraguayischem Boden wieder zurück zum Busterminal nach Bela Vista, wo ich, um den Tag perfekt zu machen, für heute kein Busticket mehr nach Ponta Pora bekam, sondern nur für den nächsten Morgen um 6.
Sollte ich erwähnen, dass mir der Wirt meiner letzten Pousada empfohlen hatte, direkt nach Ponta Pora zu fahren, und ich am Vortag bestimmt auch noch ein Busticket bekommen hätte? Tja, da will man mal die eingetrampelten Pfade des Grenzverkehrs verlassen und schon strandet man im Grenznirgendwo zwischen Brasilien und Paraguay.
Zumindest sind hier die Pousadapreise niedriger als in Bonito. Und mal schauen, was man hier zu essen bekommt. Außerdem, Herr Boe, Abenteuer buchen und wenn’s dann eintritt, den Veranstalter verklagen, das passt auch nicht zusammen! (ja, ich bin ja schon ruhig…)
Nächster Tag: Die blöden Hähne hatten bereits die blöden Hunde geweckt, sodass sie mich auf meinem frühmorgendlichen Weg (5:30) zum Rodoviario (übertrieben kompliziertes Wort für Terminal) ordentlich verbellen durften. Hoffentlich wurden deren blöden Besitzer dadurch auch geweckt.
Drei Stunden später war ich in Ponta Pora, dem Grenzort, der funktionieren sollte. Ich fand das hervorragend versteckte Migracion-Gebäude und landete in einer langen, langsamen Schlange, die sich nach einer halben Stunde des Wartens auch noch als die falsche Schlange herausstellte. Sehen wir das mal positiv: Die andere war wesentlich kürzer. Wir lernen: Nachfragen hilft nicht immer. Nur mehrmaliges Nachfragen!
Nach meinem „Saida“-Stempel nahm ich mir ein Taxi, um das gleiche Spektakel bei den Paraguayos durchzuführen, was zum Glück viel schneller ging. Auf dem Weg zum Terminal kamen wir sogar noch an einer Wechselstube vorbei.
Die Grenze zwischen Brasilien und Paraguay ist einfach ein Grünstreifen, der zwischen zwei Straßen verläuft. Wenn man das nicht weiß, würde das niemand merken. Die Stadt (oder die beiden, Ponta Pora und Pedro Juan Caballero) sitzt also mitten auf der Grenze. Man kann also unkontrolliert drüberfahren, -gehen und theoretisch auch drüberpinkeln.
Aber wehe du hast keinen Stempel! Dann musst du ohne abzuschütteln zurück!

Fundstücke – Urlaub vom Reisen
Fundstücke in Fernwest – Urlaub vom Reisen!
Okay, das klingt jetzt vielleicht doch ein bisschen gewagt! Wahrscheinlich handele ich mir mit solchen Aussagen nur übelste Verfluchungen ein (und zu Recht!). Aber was ich damit meine, ist, dass es sehr entspannend ist, nach dem vielen Unterwegssein der zurückliegenden Wochen, einfach mal den Rucksack für eine Woche zur Ruhe kommen zu lassen. Wie oft wurde der arme Hund eilig gepackt, brutal zusammengepresst, lieblos über die Schulter geworfen und in dunkle Busladeluken gestopft …! Und bevor ich deswegen ein schlechtes Gewissen gegenüber meinem braven Weggefährten bekomme, gönne ich uns mal eine Woche Strand.
Was die ganze Sache aber noch viel entspannter und auch unterhaltsamer macht, ist die Tatsache, dass ich diese Tage nicht alleine oder mit kurzfristig gefundenen Zufallsbekanntschaften und Reiseabschnittsgefährten verbringe, sondern dass ich die Bagnewski-Bande um mich herum habe. Nichts gegen Zufallsbekanntschaft! Die sind in den meisten Fälle natürlich auch total supi. Aber bei einer so langen Reise zwischenzeitlich mal ein paar FREUNDE um sich zu haben und drücken zu können, ist dann doch eine andere Liga, wenn nicht eine andere andere Sportart…
Mensch, Herr Boe, ist das eine Träne, die ich da sehe?! Quatsch, ich hatte bloß ein bisschen Caipi im Auge! – Naja, so ein bisschen Dankbarkeit und Demut streifen mich dabei schon…!
Saudações do Brasil!
Fundstück – Ciclovía
Fundstücke in Fernwest – Ciclovía
Wer hat’s erfunden? Die Rolos, wie man die Leute aus Bogotá nennt, haben’s erfunden!
Die Rede ist vom „Ciclovía“. Erstmals in den 70er Jahren, regelmäßig seit den 80er Jahren findet dieser „Fahrradtag“ statt, an dem bestimmte Straßen in der Hauptstadt zum Teil oder völlig für den normalen Verkehr gesperrt werden, die dann den Radfahrern, Joggern, Inlineskater zur Verfügung stehen.
Inzwischen erstreckt sich der Ciclovía, der an allen Sonn- und Feiertagen stattfindet, über 120 Straßenkilometer in Bogotá und, gemäß Eigenwerbung der Stadt, nehmen bis zu 2 Millionen Menschen an jedem Wochenende in irgendeiner Form daran teil. Heute ist, zum Glück, nicht soviel los, da Montag Brückentag ist und daher viele Rolos die Stadt verlassen haben.
An Kreuzungen, an den Autos den Ciclovía queren, stehen Ordnungskräfte der Stadt, die den Verkehr regeln. Also alles bestens organisiert. Links und rechts der Straße gibt es Stände mit Essen und Trinken. Insgesamt ein lustiges Treiben und ein Spaß für die ganze Familie in der sonst so hektischen und chaotischen Metropole.
Inzwischen wurde der Ciclovía nicht nur in andere Städten Kolumbiens wie Medellín und Cali, sondern auch in viele Städten weltweit erfolgreich exportiert. So gibt es unter anderem in Mexico-City, Lima, Quito, Buenos Aires und etlichen Städten der USA (u.v.m.) einen Ciclovía.

- fruchtstand mit frischgepressten säften u salpicón – hmmm!
Buscama
Buscama – der Bettenbus
Endlich! Die Evolution des venezolanischen Busreisens hat mich ganz nach oben gespült. Nach meiner Tour zu den Angel Falls, von denen ich in einer 6-Sitzer-Cessna zurückgeflogen bin (so soll reisen sein!), wartet ein Ticket für einen Buscama (wörtlich: „Busbett“) von Ciudad Bolívar nach Santa Elena auf mich. Diese Busse sind pünktlich, bequem, haben Klimaanlage und halten nicht an jeder Milchkanne.
Dabei funktioniert die Metapher „an jeder Milchkanne halten“ in Venezuela nicht wirklich, da es dafür einfach nicht genügend Milch gibt – und damit auch keine Kannen! Das liegt wiederum daran, dass der Milchpreis, dem Sozialismus sei Dank, vom Staat festgelegt wird, sodass sich alle sozialistischen Schwestern und Brüder Milch leisten können. Da die Bauern für die Milch aber so wenig gekommen, wird die Milch lieber veredelt und gar nicht erst als Milch auf den Markt gespült/gegeben. So bringt diese schöne Idee von der günstigen Milch leider nichts, weil genau deshalb gar keine Milch in den Regalen landet. Bravo!
Aber ich sitze (auch ohne Milch) in der heißen Ciudad Bolívar am Terminal und warte auf meinen Buscama, der schon eineinhalb Stunden Verspätung hat. Der Venezolaner als solcher wartet, ohne zu maulen. Auch als der Bus endlich da ist, aber sich die Tür minutenlang nicht öffnet. Der Venezolaner stellt sich artig an – an der Tür, an der Gepäckluke, letztlich an jeder verfügbaren Schlange. Und wartet…
Endlich steigt der Hilfsmokel aus, streckt sich wie nach einem erholsamen Schlaf und geht erst einmal davon, um sich und dem Busfahrer „Refrescos“ (Erfrischungsgetränke) zu kaufen. Der Sozialismus lehrt uns – beziehungsweise mich – Geduld. Schon eine halbe Stunde später ist das Gepäck verstaut und ich sitze auf meinem Platz, erste Reihe im Obergeschoss, Beinfreiheit, weit rückstellbarer Sitz. Alles gut! Nur… Es ist immer noch verdammt heiß! Die Aire (Klimaanlage) schickt ein mit modernster Technik kaum messbares Lüftchen herab.
Keine Frage, der Motor läuft. Denn in Venezuela laufen alle Motoren immer! Man weiß ja, dass ein laufender Motor kaum kaputtgehen gehen kann. Nur das lästige An- und Ausschalten macht ihn auf Dauer mürbe. Und das passiert in Venezuela nicht, in einem Land, in dem Pissen teurer ist als Volltanken. Das ist keine Metapher! Probiert einfach mal beides an einer venezolanischen Tankstelle aus und ihr werdet sehen!
Laufender Motor heißt, Klimaanlage müsste auch laufen. Aufgepasst: Konjunktiv! Der Venezolaner reagiert darauf mit Schwitzen und Warten und einer Kombination daraus: mit schwitzendem Warten. Keine Reaktion, kein Protest! Schließlich gehe ich runter und bitte, die Klimaanlage hochzudrehen. Der Fahrer signalisiert mir, sie sei bereits voll aufgedreht. Aha! Ich schau ihn fragend an, ob das sein Ernst sei. Daraufhin meint er, weiter hinten im Bus würde sie besser laufen. Ich packe meine Sachen und gehe nach hinten, wo noch Plätze frei sind, und in der Tat ein erfrischendes Lüftchen weht. Scheiß auf meine Sitzplatznummer!
Die Fahrt soll 10 Stunden dauern. Da wäre ein bisschen Schlaf doch ganz schön. Ich lese mich ein wenig müde und mache die Äuglein zu. Aber so recht funktioniert das Einschlafen nicht. Gerade bin ich eingenickt, da hält der Bus, Licht geht an, Leute steigen geräuschvoll ein und aus. Dann ist’s wieder dunkel und ich wach. Hmmm! Das nächste Mal, als ich gerade schlafe, weckt mich ein Zeigefinger, der eindringlich an meinen Oberarm tippt. Eine Uniform und ihr Gesicht schauen mich an. Pasaporte! Aha! Straßenkontrollen sollen auf der Strecke nach Santa Elena, das direkt an der brasilianischen Grenze liegt, hoch im Kurs liegen. Zumindest auf diese Auskunft scheint Verlass. – Ich kann nicht einschlafen. Lesen… Ein anderer Zeigefinger piekt auf die gleiche Stelle. Im Halbschlaf zücke ich meinen Reisepass, aber dieses Mal müssen alle aussteigen. Der Bus ist bereits leer. Bravo, ich habe wohl tatsächlich geschlafen. Draußen stelle ich mich in die Schlange, zeige meinen Pass und schlumpfe wieder auf meinen Platz. Matschig und müde sitze ich dort, knusper ein paar Tostones (Bananenchips) und schließe wieder die Augen.
Das offenbar geschulte Personal der Guardia Nacional trifft auch im dritten Versuch den Triggerpunkt auf meinem Oberarm. (Ich springe auf und salutiere.) Schlaftrunken will ich schon aus dem Bus wandeln. Aber dieses Mal muss ich meinen Rucksack mitnehmen. Draußen ist es inzwischen hell. Die Passagiere stehen mit dem gesamten Gepäck in Männlein- und Weibleinreihen. Ich stelle mich hinten an, werde aber von einem Nationalgardisten in ein kleines Zelt geleitet und dort gesondert untersucht. Dort muss ich alles Mögliche auspacken. Was suchen sie? Man hört so Geschichten, dass sie von Touristen gerne Geld haben wollen… Ich frag, ob ich tatsächlich alles auspacken soll und der relativ junge Mann sagt wörtlich: nein, die Hälfte! Ich packe also circa die Hälfte aus, zeige meinen Pass und, oh Wunder, das war’s!
Noch eine Stunde und ich bin in Santa Elena. Jetzt brauch ich erst einmal ein Bett und Schlaf. So hatte ich mir die Fahrt in einem Buscama nicht gewünscht, aber innerlich natürlich doch so ähnlich vorgestellt. Vorurteilsfreies Busfahren in Venezuela…? Nicht mit mir!
Qué más?! Und sonst so?!
– An den Angel Falls / Salto Angel gewesen, höchster freifallender Wasserfall der Welt (alle Fakten siehe Wikepedia o.ä.)
– abgefahrene Fahrt in einem schmalen Holzkanu (mit 16 Personen besetzt!) den Rio Churrún zu den Angel Falls hinauf – bisschen wie Rafting flussaufwärts. RESPECT an den Bootsmann!
– Laguna de Canaima mit etlichen schicken kaskadenartigen Wasserfällen. Hinter einigen kann man entlang laufen: spektakulär!
– cooler Rückflug in 6-Sitzer-Cessna.
– Weiterfahrt nach Santa Elena, von dort 5-Tages-Tour zum Roraima, dem höchsten (und vermutlich gefräßigsten) Tafelberg der Welt. Zum Angeben für den nächsten Geographen-Stammtisch!













