Monat: Dezember 2021

Political Overcorrectness

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Political Overcorrectness


In Zeiten, in den Hass und Häme ungezügelt das Internet verschmutzen und sachliche Auseinandersetzungen unmöglich machen, existiert am anderen Ende der Diskursskala die „Political Overcorrectness“. Denn inzwischen gibt es viele Menschen, die sich gar nicht mehr trauen, ihre Meinung öffentlich zu sagen, weil es ja irgendjemand da draußen falsch verstehen könnte. Und da die Lust auf Falschverstehen und Missinterpretieren immer größer und lauter wird, werden andere immer vorsichtiger.
Ich durfte gerade selber Zeuge und Opfer dieser Poltical Overcorrectness werden. Für die Jahresschrift unserer Schule hatte ich einen (schon vorher geschriebenen) Artikel eingereicht, einen ironischen Text über meine persönlichen Wachkomaerfahrungen während der Abituraufsicht mit dem poetischen Titel „die Langeweile des Todes„. Jetzt lagen die frischen Jahresschriften aus und es fehlte darin: mein Artikel. Okay, interessant…! Ich fragte daraufhin die zuständigen Kolleginnen, was denn zu meiner Zensur geführt hätte. Und, nun ja, wie soll ich es sagen, die Antwort war einigermaßen unbefriedigend. Viele „Womöglichs“, „Vielleichts“ und „unter Umständen“ reihten sich im Konjunktiv und versuchten, Bedenken über Interpretationsmöglichkeiten, die mein Text zuließ, zu formulieren. Kern der Bedenken war, dass womöglich einige Eltern den Eindruck gewinnen könnten, dass sich Lehrer:innen über ihre langweiligen Aufsichtspflichten beschweren würden, und dass das einige Eltern unter Umständen unangemessen finden könnten (Meckern auf hohem Niveau), da wir Lehrer:innen doch froh, zufrieden und dankbar ob unseres krisensicheren Jobs sein könnten/ sollten/ müssten oder so ähnlich und überhaupt!! Also, zumindest einzelne Eltern, also eventuell…!
Und um diesen eventuellen konjunktivistischen Elternreaktionen in vorauseilendstem Gehorsam vorzubeugen, um Anlass und Anstoß zu vermeiden, wurde auf meinen Artikel verzichten, quasi aus Sicherheitsgründen und der Logik folgend, dass eine möglichst glattgebügelte und oberflächliche Jahresschrift keine Angriffsfläche bietet. Na, bravo!
Stellt sich mir die Frage: Wer bestimmt letzten Endes den Diskurs? Die lauten dreisten, die sich ohnehin nicht den Mund verbieten lassen, oder die leisen vorsichtigen, die zwar die deutliche Mehrheit in der Gesellschaft vertreten, sich aber nicht mehr trauen, aus Angst vor einem möglichen Shitstorm, den Mund aufzumachen?
Und da auch dies ein Prozess ist, stellt sich die Anschluss- und Abschlussfrage: wohin führt diese Political Overcorrectness? Wird den lautesten und hässlichsten Stimmen der öffentliche Diskurs dadurch letztlich überlassen…?

97% aller Lügen entsprechen nicht den Tatsachen!

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97% aller Lügen entsprechen nicht den Tatsachen!

Untertitel: Aber was ist mit den anderen drei Prozent? Kann man jetzt nicht einmal mehr den Lügen vertrauen…?!1!

Neulich habe ich diesen Post gelesen: „97% of Scientists agree with Whoever is Funding Them!“ und mein erster Reflex war, dem direkt zuzustimmen. Denn sofort kam mir der Spruch in den Sinn „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!“ – Und vielleicht denkt man auch an die Wissenschaftler:innen, die im Dienste der Tabakindustrie tätig waren und die Kohle- und Ölinteressen unterstützen…

Aber wie das so ist mit den ersten Reflexen, sie sind zwar die schnellsten, aber nicht immer die hellsten! Denn selbst wenn in der obigen Aussage ein Funken Wahrheit stecken mag, so ist sie doch insgesamt ein krasses Misstrauensvotum an die Wissenschaft generell und auch sinnbildlich für unsere derzeitige Debattenkultur, in der Vertrauen, sei es in Wissenschaft, Presse oder gar Politik, zunehmend beschädigt ist und wird. Meiner Ansicht nach, kann man aktuell von einem gesellschaftlichen Vertrauensverlust sprechen. Und so funktioniert auch der Post.

Aber erst mein dritter Gedanke wies mich darauf hin, woher mir diese „97% Wissenschaftler:innen“ bekannt vorkamen. Denn im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Anerkennung des menschengemachten Klimawandels wird genau diese Zahl immer wieder genannt, nämlich diese 97% der Klima-Wissenschaftler:innen. Zufall also, dass in obigem Post auch von genau 97% die Rede ist? Eher nicht! Klares Ziel dieses Posts soll ja gerade sein, die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft zu beschädigen.

Auch kein Zufall und auf seltsame Art geradezu putzig, dass in vielen Veröffentlichungen im Internet immer wieder die Richtigkeit dieser 97% der Klima-Wissenschaftler:innen angezweifelt wird, aber nicht die Richtigkeit des menschengemachten Klimawandels. Als ob es wichtig wäre, ob es nun 97, 93 oder 99% der Klima-Wissenschaftler:innen sind. Aber auch hier geht’s um die Macht des Zweifels. Denn wo der Zweifel erst einmal in der Welt ist, da gibt es kein Vertrauen mehr. Wer Zweifel sät, wird Misstrauen ernten! Und genau darum geht’s leider! Und wie erfolgreich diese Strategie ist, kann man ja gerade sehr gut beobachten…

Natürlich ist der Zweifel nicht immer schlecht oder verkehrt! Aber der Zweifel ist eben auch eine Sau und vermag es, so ziemlich jedes Vertrauen zu vernichten!