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Fundstück – sozialistische Patentverweigerer
Fundstücke in Fernwest – sozialistische Patentverweigerer
Gerne werden sozialistische Länder als unterlegen im internationaler Vergleich angesehen. Und in Lateinamerika lässt sich in den vergangenen Jahren ein deutlicher Linksruck erkennen. Kuba ist ja schon etwas länger dabei, auch Venezuela blickt schon auf über ein Jahrzehnt Revolution, Chavismus und Sozialismus zurück. Gerade aufgrund der katastrophalen wirtschaftlichen Schieflage kam es dort in den zurückliegenden Monaten zu Demonstrationen und Unruhen mit etlichen Todesopfern.
Aber auch in anderen Ländern ist dieser Linksruck zu beobachten: Ecuador, Bolivien, Argentinien und Uruguay, alle haben linke Regierungen.
Neulich habe ich in einer chilenischen Zeitung einen Artikel über einen besonderen Aspekt der wirtschaftlichen Entwicklung und deren Zukunftschancen gelesen. Es ging um die Anmeldung von internationalen (Wirtschafts-)Patenten. Darin wurde die relativ niedrige Anzahl von internationalen Patenten in Lateinamerika gegenüber anderen Ländern beklagt. So hat Südkorea zum Beispiel mit 12400 Patenten (pro Jahr) zehnmal so viel wie ganz Lateinamerika, obwohl es weniger als ein Zehntel der Bevölkerung aufweist. Und besonders verheerend sieht dies in den sozialistischen Ländern aus, die ganz unten auf dieser Liste auftauchen. Argentinien mit 26 internationalen Patenten im zurückliegenden Jahr. Dahinter liegen noch Kuba mit neun und Venezuela mit einem (1!) Patent im zurückliegenden Jahr.
In kaum einem anderen Land der Welt ist es auch so schwierig, ein eigenes Unternehmen zu gründen wie in Venezuela. Es gibt derart viele Auflagen, die das freie Unternehmertum so sehr behindern, dass es quasi ausstirbt. Das hat auch dazu geführt, dass viele junge Venezolaner gar kein Interesse mehr daran haben, selbstständig zu werden, eigene Ideen zu realisieren und damit auch der venezolanischen Wirtschaft neue Impulse zu versetzen. Na, wenn das das Ziel der Regierung gewesen ist, ist ihnen das zumindest prima gelungen. Und wenn dann Produkte des täglichen Bedarfs wie Klopapier, Milch, Maismehl, Eier oder auch Holzkleber fehlen, bitte, liebes Volk, mal nicht aufregen. Denn den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf!
Nachdem das zurückliegende Jahrzehnt für die meisten Länder Lateinamerika wirtschaftliche und dadurch auch zum Teil soziale Verbesserungen mit sich gebracht haben, sehen die Wirtschaftsprognosen für die Zukunft leider nicht mehr in allen Ländern so rosig aus. Ob sich das nun ausgerechnet durch sozialistische Regierungen bessern wird…? Diese Bewertung überlasse ich der Phantasie des Betrachters.
Fundstück – weiblicher Machismus
Fundstücke in Fernwest – weiblicher Machismus
Heute in den Straßen von Popayán war eine kleine…, tja, soll/darf man es Demo nennen? Wie viele Menschen braucht eine Demonstration? Da weiß nicht einmal Wikipedia eine quantifizierbare Antwort! Es waren vielleicht 20 Personen, größtenteils junge Frauen, die sich in ihrem Protestzug für die Rechte der Frauen einsetzten, insbesondere ging es um das alleinige Bestimmungsrecht über den weiblichen Körper. So wurde unter anderem Folgendes skandiert: „Con ropa ó sin ropa – mi cuerpo no se toca!“ In etwa: „Mit oder ohne Kleider – meinen Körper fasst man nicht an!“ (siehe Fotos)
Interessanter als die Protestierenden waren eigentlich die beobachtenden Passanten, die das ganze recht gleichgültig über sich ergehen ließen. Dachten sich wohl auch: „Diese Studenten!“
Dass der Machismus in Südamerika noch immer Staatsform ist, das ist mit Sicherheit keine Neuigkeit. Aber auf einen interessanten Aspekt wies mich eine Couchsurferin aus Mérida/ Venezuela hin. Sie beklagte sich, dass die Frauen die viel schlimmeren Machos wären. So würden die Mütter ihre Jungen gnadenlos verhätscheln, während sie gegenüber ihren Töchtern ganz andere, viel strengere Maßstäbe anwenden würden. Wenn ein Sohn nach einem Vollrausch am nächsten Tag in den Seilen hinge, kümmere sich die Mutti um ihr armes Söhnchen, mache ihm eine stärkende Suppe, während die Tochter nach einer solchen Nacht von der eigenen Mutter als Schlampe beschimpft würde.
Die Frau aus Mérida war jenseits der 30 Jahre und nicht verheiratet und kinderlos und war zufrieden damit. Ein Skandal! Da hatte sie doch wohl etwas falsch gemacht! In Augen der Gesellschaft, aber eben auch in Augen der meisten Frauen!
hupkultur
Hupkultur
In Deutschland haben wir es mit einer vergleichsweise schwach entwickelten Hupkultur zu tun. Hupen hat weitestgehend nur vier Bedeutungen: „Achtung!“, „Arschloch!“ und „Achtung, Arschloch!“ sowie „Mein idiotischer Freund/Freundin hat die blöde Kuh/Trottel doch geheiratet!“ – In Italien kommt zum Beispiel noch das beliebte „Fahr schon!“ oder genauer gesagt „Fahr schon, Stronzo!“ dazu, das man an jeder Kreuzung erleben kann und das sich langsam aber sicher auch in Deutschland wachsende Beliebtheit erfreut.
In Südamerika ist aber die Hupkultur viel weiter entwickelt und erfreut sich etlicher Spielarten. Hupen ist hier Vielfalt, Kommunikationsmittel und nicht bloße Gefahrenwarnung. So bedeutet ein dreifaches Hupen oft einfach „Na, wie geht’s? Alles in Ordnung?“, auf das man gerne antwortet „Mir geht’s gut und dir?“ Außerdem hupt man natürlich gerne hübschen Frauen am Straßenrand hinterher, 2x bedeutet „Linda!“, 3x „Mamacita!!!“ Im Transporte Publico wird das Hupen als „Willste mitfahren?“ eingesetzt und wird grundsätzlich an alle halbwegs potenzielle Fahrgäste gerichtet, also quasi an jeden an der Straße (oder in Straßennähe). Hupen bedeutet aber auch: „Hej, ich überhole dich gerade!“ Was natürlich auch eine wichtige Information ist. Genau wie: „Achtung! Ich schneide die Kurven! Und zwar ziemlich krass!!“
In Venezuela kann ein Hupkonzert auch Ausdruck eines kollektiven Glücksgefühls sein: „Cool, Leute! Wir haben den „Vier-Seiten-Trick“ geschafft! Glückwunsch! Olé olé!“ (siehe dazu: https://tommiboe.wordpress.com/2013/11/02/kreatives-fahrverhalten/)
Darüber hinaus bedeutet es natürlich auch „Platz da!“, „Fahr schon!“, „Achtung!“ und „Hijo de Puta!“
Diese Bedeutungsvielfalt macht es nicht nur für Neulinge und Außenhupende sondern auch für die eigentlich Eingehupten schwer, genau zu wissen, was jetzt gerade Sache ist. Und so schreit in Gefahrensituationen, das habe ich selbst erlebt, der Busfahrer auch schon mal aus dem Fenster. Das ist einfach weniger missverständlich, als zu hupen. Sonst denkt der Autofahrer noch „Oh! Hübsches Mädchen am Straßenrand!“ oder antwortet einfach instinktiv „Danke! Mir geht’s gut!“ und könnte damit falscher gar nicht liegen, weil wir ihm eine Sekunde später mit unserem Bus eine heftige Breitseite verpassen.
Mein persönlich beeindruckendstes Huperlebnis hab ich schon geschildert… (https://tommiboe.wordpress.com/2013/09/18/respekt-liebe-busfahrer/)
Was ist mit euern? Was bedeutet Hupen für euch? Warum könnt ihr nicht mehr ohne leben?
Kreatives Fahrverhalten
Kreatives Fahrverhalten
Wir Deutschen neigen sicherlich zur Sachlichkeit. Das mag mitunter auch Kreativität verhindern, was wiederum manchmal sehr hilfreich sein kann. Zum Beispiel im Straßenverkehr. Denn hier sorgt kreatives Fahrverhalten nicht unbedingt für Vergnügen aller Beteiligten. Aber hochdosierter und hochemotionaler Egoismus am Steuer ist auch nicht auf das Wohl der Allgemeinheit ausgerichtet.
In Venezuela habe ich den sogenannten „Truco de cuatro lados“, den „Vier-Seiten-Trick“ kennengelernt. Das versetzt wahrscheinlich auch deutsche Stauexperten in Erstaunen. Dabei ist das Prinzip des „Vier-Seiten-Tricks“ ganz einfach einfach: Man nehme eine vierseitige Kreuzung, lässt sich von Grün- und Rotphasen nicht weiter irritieren und fährt von allen Seiten so konsequent in die Kreuzung rein, dass es in keine Richtung mehr aus der Kreuzung rausgeht.
Das klingt erst einmal banal. Aber eine mehrspurige Kreuzung so zuzufahren, dass tatsächlich niemand mehr rauskommt, dafür bedarf es schon eines ordentlichen, konsequenten kollektiven Egoismusses. Denn natürlich strömt ständig Verkehr nach. Es wollen schließlich alle an diesem Spaß teilhaben und außerdem haben sie ein sozialistisches Anrecht und die dazugehörige Ausdauer, sich an jede verfügbare Schlange anzustellen. Und sei es an einer Kreuzung…
Das hundertfache Hupen kommt einem fast wie ein anerkennender Applaus für die gesellschaftliche Gesamtleistung vor. Denn das schafft nicht jeder! – Fahrer, denen irgendwann die Huplust vergeht (auch solche kommen vor), steigen dann auch gerne aus dem Auto aus, um stolz Erinnerungsfotos vom geglückten Verkehrschaos zu schießen. Denn so ein vollkommener „Vier-Seiten-Trick“ gelingt selbst in Venezuela nicht jeden Tag.
Ich sitze in meinem Taxi und bin auch ein bisschen stolz. Nur fehlt mir leider die Abgebrühtheit und das Geschichtsbewusstsein eines Zeitzeugen, um den perfekten Augenblick zu dokumentieren. (Deshalb heute kein Foto für Euch!)
Fundstücke in Fernwest – „schlafender Polizist“
Fundstücke in Fernwest – „schlafender Polizist“
„Policía acostado“, „schlafender Polizist“ also, werden sie liebevoll genannt. Aber es gibt noch eine Reihe anderer Ausdrücke für diese verhassten Gesellen, die man in allen Ländern Zentral- und Südamerikas auf der Straße findet: Reductor de velocidad, tope, rompevelocidad, lomo de burro… Gemeint sind die „speed bumps“ oder wie sagt man im Deutschen dazu…? Gibt gar kein richtiges, schönes Wort dafür. Liegt vielleicht auch daran, dass es in Deutschland kaum solche Spaßverderber gibt. Wie wär’s denn mit Geschwindigkeitsminderer? Das klingt doch schön bürokratisch korrekt.
Das Schöne an diesen asphaltischen Bremsbuckeln ist, dass an diesen Stellen der Geschwindigkeitsreduzierung haufenweise Dienstleister herumlungern (siehe Fotos!). Bremsverhalten und Verkäuferdichte stehen hier in signifikantem Zusammenhang. Und da man eh bremsen muss, kann man sich ja auch ein paar Tostones (Bananenchips) oder was auch immer durchs Fenster reichen lassen.