Monat: September 2013
Kaltes Bier in heißer Stadt
Kaltes Bier in heißer Stadt
oder: Wenn die Idee besser ist als die Wirklichkeit, hilft Demut!
Ich sitze am Orinoco in Ciudad Bolívar, mit bürgerlichem Namen heißt die Stadt Santo Tomé de Guayana de Angostura del Orinoco, was mal ordentlich Eindruck auf dem Briefkopf macht. Da braucht man auf dem Amt schon ein gescheites großflächiges Stempelkissen. Jedenfalls hat der allgegenwärtige Símon Bolívar genau hier die Unabhängigkeit Großkolumbiens von den spanischen Drecksbesatzern erklärt und sich damit den Stadtnamen ehrlich verdient.
Aber nicht ihre historische Bedeutung noch ihre Hafenfunktion nicht einmal ihre regional bedeutende Viehwirtschaft hat mich in die Stadt am Orinoco gelockt. Nein, von hier aus soll es morgen per Propellermaschine zum Angel Fall, dem Salto Angel gehen, dem höchsten Wasserfall der Welt, der im Übrigen in der Sprache der Pemón „Kerepakupai Merú“ heißt. Das ist deshalb interessant (oder auch nicht), weil sich Hugo Chávez höchstpersönlich dafür eingesetzt hat, dass der Wasserfall künftig wieder seinen ursprünglichen Namen bekommt. Denn warum soll man ein durch und durch venezolanisches Weltwunder nach einem dämlichen Gringopiloten benennen, der nichts weiter im Gold berauschten Sinne hatte, als sich persönlich zu bereichern? Was zum einen typisch amerikanisch ist, fremde Länder auszubeuten, und obendrein in höchstem Maße unsozialistisch! Ob Chávez tatsächlich aus Ärger über diesen Namensstreit gestorben ist, darüber streiten sich noch Geschichtsschreiber (und Mediziner).
Besagtes Flugzeug, mit dem Jimmy Angel (mit dem Namen hätte er nicht Pilot sondern Rockstar werden sollen!) auf dem Plateau des Tafelbergs über dem Wasserfall landete, steht heute in der Ciudad Bolívar. Da schließt sich der Würfel und ich bin wieder in der Stadt am Orinoco!
Bevor ich nun aber zum Sitzen komme am Ufer des dicken fetten Orinocos, bin ich durch die Altstadt geschlendert. Und man muss wirklich schön langsam schlendern. Erstens, weil es schweineheiß ist, und zweitens, weil die koloniale Altstadt so klein ist, dass man sonst schon nach fünf Minuten damit fertig wäre. Klein aber fein! möchte ich anmerken. Kolonialhäuser, hübsch und farbenfroh angepinselt. So frisch, dass man die Tropfen noch auf den Gehsteigen sehen kann. Die Stadt hatte sich nämlich um den Titel „Weltkulturerbe“ der UNESCO beworben und Chávez persönlich hatte sich derzeit dafür stark gemacht und einen Aufruf an sein ciudadbolivarisches Volk gestartet, es möge doch seine Häuser streichen. Darauf das Volk: Lieber Despot, weder Farbe noch Geld sind unser eigen, es gehört doch alles dem Volke! Daraufhin musste selbst der große Hugo Chávez schmunzeln und gab eine Runde Farbe für alle aus, auf dass die Häuser der Stadt bunt wurden. Und so geschah es!
Und tatsächlich strahlt die Stadt auch heute noch farbenfroh. Wenn man aber genauer hinsieht, erkennt man, dass die Hauswände einfach übergestrichen worden sind. Es wurde nichts neu verputzt oder ausgebessert. Dafür war dann wirklich kein Geld mehr da. Die Ciudad Bolívar hat den Titel übrigens bekommen. (Ob Chávez tatsächlich aus Freude darüber gestorben ist, ist hingegen nicht eindeutig bewiesen.)
Nun sitze ich also tatsächlich am Orinoco, der sich mächtig und ruhig an mir vorbeischiebt. Die Stadt wurde hier gegründet, weil der Fluss hier an seiner Verengung nur 300 Meter breit. Verengung heißt (ich weiß, ich bin heute recht belehrend. Aber U- und E-Reiseberichte schließen einander nicht grundsätzlich aus!) im Spanischen „Angostura“. Und nach diesem Wort und Ort wurde der Angosturabaum benannt, der für den Angustora-Bitter, einem Bitterlikör, verantwortlich ist, den ein deutscher Arzt gegen Tropenkrankheiten wiederum für Bolívars Truppen entwickelt hat. Da schließt sich der nächste Würfel! (Da das alles lange vor Hugo Chávez geschah, sind sich die Historiker relativ sicher, dass das alles nichts oder zumindest wenig mit dem Tod des Comandantes zu tun hat.)
Der mystische Orinoco schiebt sich währenddessen gleichgültig an mir vorüber. Seine Mystik mag sich mir allerdings nicht erschließen. Dafür ist es leider zu heiß und zu windstill. Ich sitze einem großen offenen Restaurant mit massiven Holztischen und -stühlen. Es gibt nichts zu essen und es gibt nur einige wenige Gäste, die eines gemein haben: Vor ihnen auf den Tischen stehen viele leere Bierflaschen. Die Bedienung stellt immer nur neue kalte Bierflaschen auf den Tisch und räumt sie erst am Schluss ab, wenn bezahlt wird. Spart die Buchführung, erfordert aber große Tische. Denn die Flaschen sind klein (0,222 l), die Hitze ist groß, Resultat: volle Tische und ein extrem hoher Schweiß-Bier-Koeffizient!
Auch ich hatte diesen Plan, hier unten am Fluss Erfrischung zu finden, ein bisschen zu lesen, zu schreiben, Bier zu trinken. Aber manchmal ist eine Idee einfach besser als die Wirklichkeit. „Kaltes Bier in heißer Stadt“ klingt, meines Erachtens, nicht besonders komplex! Aber manchmal sind es Kleinigkeiten, die dir einen Strich durch die Rechnung machen. Besonders wenn sie sich häufen:
1. Es ist einfach viel zu heiß!
2. Die Ventilatoren vollführen zwar anmutige Rotationsbewegungen dort oben am Dach, sind aber nur von dekorativer Funktion.
3. Das einzige, wenngleich kalte Bier, das serviert wird, ist „Polar Light“! Nur so viel: Dahingegen schmeckt stark gechlortes Leitungswasser erfrischend und lecker (bei etwa dem gleichen Alkoholgehalt!). Aber selbst gechlortes Leitungswasser haben sie hier nicht!
4. Es läuft „Vallenato“, eine unnütze, schreckliche Musik, über die man wenig sagen kann, ohne sich maßlos aufzuregen. (Es streiten sich noch heute Musikwissenschaftler darüber, ob Hugo Chávez tatsächlich in seinen letzten Stunden Vallenato gehört haben soll. Angeblich, um ihm den Abschied von den schönen Dingen des Lebens zu erleichtern.)
5. Mein Zeigefinger ist so feucht, dass mein Ebook streikt und es sich nicht mehr umblättern lässt!
Was hilft in solchen Situationen? Demut! Ich beschließe, dass es mir saugut geht, lasse mein gechlortes Leitungswasser, äh, Polar Light stehen, verlasse den Ort und gehe mir einen frischen Orangensaft pressen! Und lächele dazu im Rhythmus der zum Glück immer leiser werdenden Vallenatoklänge…




Desayuno frito
- Desayuno frito – fritiertes Frühstück
Natürlich kann man sein Frühstück fritieren. Das ist technisch gesehen überhaupt kein Problem und auch kulturell scheint es in Südamerika keines zu sein. Ich bin auch kein (so großer) Moralapostel (naja… vielleicht doch!)… Aber mal im Ernst: Wenn man schon morgens damit anfängt, Dinge zu fritieren und sie dann auch noch zu essen, wohin soll das denn tagsüber führen? Wo ist da der Ausweg? Die Gesellschaft endet doch unweigerlich in der Fritierfalle!
Wenn man sich anschaut, wie schnell eine Gesellschaft verfetten kann und wie früh sie damit anfängt, dann ist das schon eine beeindruckende Leistung! Das muss man auch von Deutschland aus, dem Land der Dicken, anerkennen. Der Venezolaner hält da mit den ganz großen, ganz dicken Ländern mit! Er lässt sich nicht abschütteln, sondern beißt kämpferisch in seine Empanada, dass es spritzt. Aber ob es das Wort „Volksgesundheit“ hier gibt und ob das mit Sorge betrachtet wird, das wage ich zu bezweifeln. Der Venezolaner fritiert weiter fröhlich vor sich, als gäbe es kein Morgen und keine Herzkranzgefäße.
So! Das musste jetzt mal sein! Ich habe gerade mein Frühstück hinter mir: Arepa con Jamon y Queso, Pastel de Carne Mechada. Das sollte für die morgendliche Ölung reichen! Lecker war’s schon irgendwie – mit pikanter Salsa, was sonst auch nicht auf meinem Frühstückstisch steht. Vor mir liegt ein Berg von intensiv benutzten Servietten…
Fürs Gewissen einen frischen Melonensaft und ein bisschen übers Fritieren gehetzt, damit Ying und Yang wieder gut ausbalanciert sind. Da geht’s Engelchen und Teufelchen gleich besser.
Ein letzter Blick streift aber doch noch meinen Servietten beladenen Teller und die übergewichtige Kundschaft. Morgen früh gibt’s einfach Früchte!

Auflagen zur Erstellung eines Reiseblogs
- Auflagen zur Erstellung eines Reiseblogs
Der neunmalkluge Volksmund weiß ja: „Böse Menschen singen keine Lieder!“ Das beruht natürlich auf einem stark vereinfachten Weltbild, in dem Gut und Böse deutlich abgegrenzt und gut ausgeschildert sind. Aber so ist er nun mal, der Volksmund.
Bleibt die Frage: Wer aber schreibt diese Lieder eigentlich? Vielleicht schreiben ja böse Menschen diese Lieder und lassen sie dann von den Guten singen… Was meines Erachtens, sehr gut zu unserer aktuellen Weltordnung passen würde. Denn wer verdient an den Nutzungsrechten am meisten…?
Wie auch immer. Meine Beobachtung dazu: Verliebte Menschen schreiben jedenfalls keine Lieder! Verliebte Menschen essen, schlafen und f…! Mit anderen Worten: sie sind beschäftigt und kaum für andere Sachen zu motivieren! (Natürlich ist auch diese Sicht der Dinge stark vereinfachten!)
Heißt das gleichzeitig, dass, wenn ein Künstler plötzlich die Liebe findet, er sofort aufhört, Lieder zu schreiben? Das wäre ja bei vielen Künstlern durchaus wünschenswert…!
Aber! Die künstlerische Triebfeder ist und bleibt das Unglück! Dahingehend ignoriere ich gerne alle Einwände. Denn was kommt dabei raus, wenn glückliche Menschen Lieder schreiben? Sachen wie „Wenn i mit dir danz, dann vergess i die Zeit!“ oder „So ein Tag so wunderschön wie heute!“
So etwas kann man sich als Künstler genau einmal erlauben. Danach ist der Ofen aus! Das Publikum wendet sich voll/ vor Grau(s)en ab und man wird jäh vom Künstlerbund verstoßen. Beides zurecht!
Dieses Wissen hat natürlich auch Auswirkungen auf meinen Reiseblog. So hüte ich mich davor (wie vorm Weihwasser), nette, liebreizende Anekdoten und traumhafte Ortsbeschreibungen aneinander zu knüpfen. Zu schnell könnte mir daraus ein Strick gedreht. Denn hier gilt ganz klar die Faustregel: „Willst du deine Freunde behalten, dann erzähle ihnen möglichst detailliert, was schief gelaufen ist!“ Alles andere schürt nur unnötig Neid!
(Niemand braucht noch mehr Rosamunde Pilchers.) Tragik und Komik gehen Hand in Hand und geben ein viel besseres, hübscheres wenngleich natürlich höchst unglückliches Paar ab.
Und wenn man doch über Tolles, Großartiges, Unglaubliches, ja Sagenhaftes berichtet, dann bitte in Demut, möglichst emotionslos, im Stile eines Nachrichtensprechers, einer Gebrauchsanweisung oder eines Küchenrezeptes.
Oder wie hat mir schon meine Oma vor meiner ersten größeren Reise mit einem schelmischen Lächeln mit auf den Weg gegeben: „Alles, was dir passiert, hab ich dir gewünscht!“
Naja und wer will schon sein Oma enttäuschen…?!
hier noch ein paar nüchterne Fakten!



– hab eine gute woche an der karibikküste verbracht. was soll ich sagen? war schön! nur das wasser war gar nicht erfrischend!
– war 1x tauchen
– bin in einem nationalpark spaziert
– hab viel fisch (pescado frito con patacones) gegessen, wie sich das gehört
– hatte eine schreckliche busfahrt, bzw. keine busfahrt, weil der bus nach einer stunde mitten in der nacht verreckt ist…
– hab schön mit venezolanern das länderspiel gegen peru geschaut (3:2 gewonnen) und ein halb dutzend eiskalter bierchen (0,222 liter flaschen – kein witz) getrunken
– hab ein turnier mit dem team „vulcano“ in merida gespielt und gewonnen
– mache mich morgen auf den weg in den orient! gran sabana! salto angel!
liebe grüße an alle, die es bis hierher geschafft haben!
thomas
Respekt, liebe Busfahrer!
Respekt, liebe Busfahrer!
Respekt! Das muss ja auch mal klar gesagt sein: Respekt vor den Busfahrern!
Okay, bei anderen Berufen würde ein ähnliches psychologisches Gutachten vermutlich eher ein Berufsverbot bewirken. Bei Busfahrer gehört eine gewisse Verrücktheit dahingehend quasi zur Grundvoraussetzung für den Beruf.
Ich kam gerade aus Chichirivichi. Das erwähne ich nur mal, um Euch die Möglichkeit zu geben, gekonnt zu kontern, falls Euch jemand fragt: „Hier, kennste ’n Fluss mit 4 „s“ und 4 „i“? – Haha, Mississippi!“ Hier die passende Antwort: „Hier, kennste ’n Ort mit 3 „tsch“ und 5 (!) „i“? – Haha, Chichirivichi!“
Mein Weg führte mich nach Maracay und von dort über eine Atem beraubende Strecke nach Choroní, was wiederum an der venezolanischen Karibikküste liegt. Wer sich schon mal gefragt hat, warum man „Atem beraubende Strecke“ sagt… Nach dieser Fahrt dürfte zumindest diese Frage geklärt sein! Die Strecke ist derart gebirgig, kurvig und zugleich schmal, dass man sich konzentrieren muss, um in den kurzen geraden Passagen ausreichend Sauerstoff zu bekommen. Sonst wird’s nämlich knapp!
Im Rennsport spricht man in diesem Zusammenhang von einer „technisch anspruchsvollen“ Strecke. Und Begriffe aus dem Rennsport bieten sich bei venezolanischen Busfahrten durchaus an. Da es bei unserer Renn- und Reisegeschwindigkeit aber unmöglich war, rechtzeitig zu erkennen oder zu erahnen, was hinter der nächsten Kurve war, blieb dem Busfahrer einzig das Stilmittel der Hupe. So konnten wir zwar noch immer nicht sehen, ob es tatsächlich hinterm Horizont immer weiter ging und ein neuer Tag auf uns wartete, wie es uns Udo Lindenberg versprochen/ verheißen hatte, aber zumindest unser Gegenverkehr wusste Bescheid. Und unsere Hupe machte Eindruck. Sie wurde, wie bei einem LKW, per Seilzug am Kabinendach ausgelöst und hinterließ eine international gültige Botschaft: Platz da!
Und da die vom Busfahrer verordnete/ verabreichte Geschwindigkeit die relative Kurvendichte noch erhöhte, zog der Busfahrer ungefähr die Hälfte der Zeit an der Hupe. Mehr konnte er nicht hupen, weil er für die übrige Zeit tatsächlich (dringend) beide Hände am Lenkrad brauchte. – Insgesamt war die Fahrleistung beängstigend, aber auch sehr beeindruckend!
Bleibt – bei allem Respekt – nur ein kleiner Vorwurf:
Das Hupen passte nicht immer zur Musik! Obwohl ich manchmal durchaus den Eindruck hatte, der Busfahrer verstünde sich als ein Teil der Kapelle und hupe eigentlich nur zur Musik, fehlte mir in dieser Hinsicht das übergeordnete musikalische Konzept. Fürs Gesamtkunstwerk dieser Busfahrt würde ich mir daher einen passenden Sound&Honk-Track wünschen.
Busreisen im Sozialismus
Busreisen im Sozialismus
Am Montagvormittag bin ich am Terminal, um mir ein Ticket für den Nachtbus von Dienstag auf Mittwoch nach Coro zu kaufen, einem Ort an der venezolanischen Karibikküste. Die Schalter sind aber schon halb geschlossen, mit Schildern „no hay boletos“ im Fenster, also alles ausverkauft für den Abend. Nun gut, ich will ja erst am nächsten Tag aufbrechen. Hinterm Schalter sitzen noch immer zwei Frauen, die sich zwar mit sich bestens unterhalten können, aber mit mir nicht so richtig. Schließlich verweist mich die eine knapp auf ein anderes Schild in der Auslage: „se vende boletos solamente el día mismo del viaje!“ Heißt: Ich kann heute gar kein Ticket für morgen kaufen. Denn das geht nur am Tag der Reise! Klar, logisch…! Als ich noch mal nachfrage, weil sich mir der Sinn des Ganzen nicht erschließt, bekomme ich zwar keine Erklärung, aber immerhin den Tipp, morgen früh um zwei spätestens drei Uhr da zu sein, um mich anzustellen. Der Schalter macht dann um sieben Uhr auf. Bienvenido al socialismo del cieglo 21! Willkommen im Sozialismus des 21. Jahrhunderts.
Und die meinen das ernst! Und alle machen da mit! In Deutschland stellen die Leute nachts nur in eine Schlange, wenn man Tickets fürs Championsleague-Finale haben möchte oder wenn der neue Harry Potter rauskommt. Schlimm genug! Oder man braucht ein Busticket und lebt zufällig im real existierenden Sozialismus! Im real existierenden Kapitalismus sitzen die Nasskappen nächtelang fürs neueste Iphone auf der Straße. Weiß grad gar nicht, was schlimmer ist… Macht mich irgendwie beides traurig!
Am nächsten Tag stehe ich früh auf und fahr mit meinem Gepäck und einem Plan B zum Busterminal. Ich bin um halb sieben da – nicht etwa um zwei! Der Schalter ist noch nicht geöffnet, aber die Schlange reicht bereits durchs halbe Terminalgebäude – für 40 Plätze! Mit anderen Worten: Plan B tritt in Kraft!
Ich begebe mich direkt zum Bahnsteig und nehme einen Bus nach Barinas. Das liegt quasi auf dem Weg nach Maracay, und von dort geht’s dann weiter. Die Busse fahren regelmäßig los, wenn sie voll sind, und dann halt der nächste! Das funktioniert! In Barinas steige ich um nach Valencia, was die drittgrößte Stadt Venezuelas ist und nur etwa 30 Kilometer von Maracay entfernt ist, von wo ich dann nach Choroní möchte. Der aufmerksame Leser ermüdet zwar bei der Aufzählung böhmischer Dörfer, bemerkt aber, dass der Ort Coro nicht dabei ist. Plan B beinhaltet auch einen anderen Zielort. Obiges Choroní liegt auch an der Küste, wollte ich ursprünglich aber erst später besuchen. (So viel zur Planänderung!)
Nachteil von B ist natürlich, dass ich einen ganzen Tag in vollen Bussen bei lauter Musik verbringen, anstatt in einem bequemeren Nachtbus nachts zu reisen… Aber: Immerhin bin ich auch drin und komme voran!
Es ist halb fünf (nachmittags!), als mein Plan B scheitert. Ich stehe am Terminal in Valencia und will in den nächsten Bus nach Maracay. Die Idee hatten aber noch ein paar Hundert andere vor mir. Ich hatte während der Fahrt schon gehört, dass es heute – warum auch immer – keine Direktbusse nach Caracas gibt. Daher müssen sich alle, die nach Caracas wollen, etappenweise von Busbahnhof zu Busbahnhof hangeln. Und meine nächste Etappe liegt mitten auch auf dem Weg nach Caracas. Hatte ich erwähnt, dass die Ferienzeit in Venezuela zu Ende geht…?
Die Schlange ist jedenfalls so lang, dass mir kurz mein Zeitgefühl verloren geht. Ich wache wieder aus dem Sekundenschlaf auf und höre „Coro! Coro!“ rufe. Nein, es ist kein Papagei, der auf meiner Schulter gelandet ist! Es ist nämlich so, dass lateinamerikanische Busse, die noch nicht voll sind, sprechen können. Es laufen also Männer oder Frauen über die Bahnsteige und schreien diverse Zielorte aus. Das ist oft sehr hilfreich.
Einer der Buseinweiser, den ich frage, schätzt auf mindestens drei Stunden Wartezeit… Ich werfe noch mal einen kurzen Blick auf die Schlange, aber nur so lange, dass mir nicht wieder schwindelig wird, geh pullern und steige in den Bus nach Coro. Ich komme damit zwar an mein ursprüngliches Ziel, habe aber einen ordentlichen Zickzackkurs hingelegt und damit nochmals fünf Stunden Fahrt vor mir. Immerhin: Der Bus ist nur halb voll, ich hab also eine eigene Sitzreihe für mich und er ist klimatisiert. Zudem ist Coro die größere Stadt und ich werde dort auf alle Fälle, selbst wenn ich spät ankomme, noch etwas für die Nacht finden.
Auch im letzten Bus ist die Musik so laut, dass ich trotz Oropax noch die nach DIN genormte „deutsche Zimmerlautstärke“ mitbekomme.
Stellen sich mir folgende Fragen:
1. Bin ich ein Sensibelchen? Es scheint ja sonst niemanden zu stören.
2. Wird man im Alter geräuschempfindlicher? Ich dachte immer, man wird taub… So ein bisschen taub wäre manchmal gar nicht schlecht!
3. Gibt es auch Oropax „fuerte“ oder „deep inside“?
4. Habe ich gerade einen Erziehungsauftrag für mein Sabbatjahr gefunden? Da ich noch genügend Busreisen vor mir habe, nehme ich mir vor, fortan bei jeder Busfahrt den Busfahrer scheißfreundlich zu bitten, die Musik etwas leiser zu machen.
Und Reisende wissen: es ist immer gut, Aufgaben zu haben!