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Fundstück – weiblicher Machismus
Fundstücke in Fernwest – weiblicher Machismus
Heute in den Straßen von Popayán war eine kleine…, tja, soll/darf man es Demo nennen? Wie viele Menschen braucht eine Demonstration? Da weiß nicht einmal Wikipedia eine quantifizierbare Antwort! Es waren vielleicht 20 Personen, größtenteils junge Frauen, die sich in ihrem Protestzug für die Rechte der Frauen einsetzten, insbesondere ging es um das alleinige Bestimmungsrecht über den weiblichen Körper. So wurde unter anderem Folgendes skandiert: „Con ropa ó sin ropa – mi cuerpo no se toca!“ In etwa: „Mit oder ohne Kleider – meinen Körper fasst man nicht an!“ (siehe Fotos)
Interessanter als die Protestierenden waren eigentlich die beobachtenden Passanten, die das ganze recht gleichgültig über sich ergehen ließen. Dachten sich wohl auch: „Diese Studenten!“
Dass der Machismus in Südamerika noch immer Staatsform ist, das ist mit Sicherheit keine Neuigkeit. Aber auf einen interessanten Aspekt wies mich eine Couchsurferin aus Mérida/ Venezuela hin. Sie beklagte sich, dass die Frauen die viel schlimmeren Machos wären. So würden die Mütter ihre Jungen gnadenlos verhätscheln, während sie gegenüber ihren Töchtern ganz andere, viel strengere Maßstäbe anwenden würden. Wenn ein Sohn nach einem Vollrausch am nächsten Tag in den Seilen hinge, kümmere sich die Mutti um ihr armes Söhnchen, mache ihm eine stärkende Suppe, während die Tochter nach einer solchen Nacht von der eigenen Mutter als Schlampe beschimpft würde.
Die Frau aus Mérida war jenseits der 30 Jahre und nicht verheiratet und kinderlos und war zufrieden damit. Ein Skandal! Da hatte sie doch wohl etwas falsch gemacht! In Augen der Gesellschaft, aber eben auch in Augen der meisten Frauen!
Fundstück – pazifistische Protestform
Fundstücke in Fernwest – pazifistische Protestform
Popayán ist die Hauptstadt des Departamento Cauca und präsentiert sich stolz als die „Ciudad Blanca“ Kolumbiens, also als die weiße Stadt. Und tatsächlich so viele weiße Häuser in einer Stadt hab ich lange nicht mehr gesehen (wenn überhaupt). Kolonialhäuser reihen sich aneinander, dass es eine wahre Freude ist – wirklich hübsch anzusehen.
Aber so viel weiß kann auch provozierend und einladend wirken. Denn was kann man mit so viel weißer Fläche anfangen? Hmmm, mal überlegen, liebe Kinder! Richtig: beschmieren oder Graffitis ansprühen. Oder aber sie eignen sich auch für eine pazifistische, wenngleich fast vergessene Protestform: das einst beliebte Farbbeutelwerfen.
Rund um die Plaza Cauca, dem zentralen Platz Popayáns, finden sich herrlich weiße, koloniale Prachtbauten und in fast allen befindet sich der Sitz einer Bank. Kennt man also nicht nur aus Deutschland, dass die Banken die protzigsten Gebäude haben. Und nun genau die Fassaden dieser Banken sind zur Leinwand des Protestes geworden (siehe Fotos).
Dabei fällt mir eine hübsche Anekdote ein. Zu guten alten Marburger Zeiten, als ich im so genannten „Madhouse“ wohnte, haben zwei gute Freunde, nennen wir sie mal V.* und M.* (*Namen von der Redaktion gekürzt), daran gemacht, in unserer Wohnung Farbbeutel vorzubereiten, um sie mit viel Schwung und Wut gegen das Gebäude der Deutschen Bank zu schleudern. Als wäre das nicht schon Grund genug, hatte die sich ein Stück vom ehemaligen Biegeneck unter den Nagel gerissen, einem der Streitobjekte der 80er und 90er Jahre (so mit Hausbesetzung, studentischem Wohnraum, polizeilicher Nacht-und-Nebel-Räumung, Abriss ohne Baugenehmigung – volles Programm also).
Zur Tat: Unsere beiden Protestler haben sich, quasi als Rache auch bei Nacht und Nebel aufgemacht, die Fassade der Drecksbank zu beschmutzen. Und womit? Mit Recht! Während M. seine Munition hektisch, wie es seine Art war, schon verschossen hatte, nahm V. präzise Maß, um die Bank an strategisch besonders schmerzvollen Punkten zu treffen (Bank-Logo). M. war nervös und wollte weg und rief tatsächlich folgende Worte: „Los V.! Lass uns abhauen!“ Er rief nicht tatsächlich „V-Punkt!“, sondern er gab natürlich als professioneller Delinquent und Farbbeutelwerfer den kompletten Klarnamen (sowie Anschrift) des Mitdelinquenten bekannt, bevor die zwei im gestreckten Galopp den Tatort verließen.
Diese Geschichte soll nur mal als kleine Anregung dienen, was wir heute noch so als kleine Bürger:innen auf der Straße so tun können, wenn man nicht weiß, wo all die Wut hin soll. Vielleicht mal zur Abwechslung vom Leute beleidigen im Internet. Spaß macht es obendrein!
(In der Hoffnung, dass die Taten verjährt sind! Andererseits kann man das nie wissen in einem Land, indem die Strafen höher sind, wenn man ein Polizeiauto beschädigt als eine:n Polizist:in selbst!)
hupkultur
Hupkultur
In Deutschland haben wir es mit einer vergleichsweise schwach entwickelten Hupkultur zu tun. Hupen hat weitestgehend nur vier Bedeutungen: „Achtung!“, „Arschloch!“ und „Achtung, Arschloch!“ sowie „Mein idiotischer Freund/Freundin hat die blöde Kuh/Trottel doch geheiratet!“ – In Italien kommt zum Beispiel noch das beliebte „Fahr schon!“ oder genauer gesagt „Fahr schon, Stronzo!“ dazu, das man an jeder Kreuzung erleben kann und das sich langsam aber sicher auch in Deutschland wachsende Beliebtheit erfreut.
In Südamerika ist aber die Hupkultur viel weiter entwickelt und erfreut sich etlicher Spielarten. Hupen ist hier Vielfalt, Kommunikationsmittel und nicht bloße Gefahrenwarnung. So bedeutet ein dreifaches Hupen oft einfach „Na, wie geht’s? Alles in Ordnung?“, auf das man gerne antwortet „Mir geht’s gut und dir?“ Außerdem hupt man natürlich gerne hübschen Frauen am Straßenrand hinterher, 2x bedeutet „Linda!“, 3x „Mamacita!!!“ Im Transporte Publico wird das Hupen als „Willste mitfahren?“ eingesetzt und wird grundsätzlich an alle halbwegs potenzielle Fahrgäste gerichtet, also quasi an jeden an der Straße (oder in Straßennähe). Hupen bedeutet aber auch: „Hej, ich überhole dich gerade!“ Was natürlich auch eine wichtige Information ist. Genau wie: „Achtung! Ich schneide die Kurven! Und zwar ziemlich krass!!“
In Venezuela kann ein Hupkonzert auch Ausdruck eines kollektiven Glücksgefühls sein: „Cool, Leute! Wir haben den „Vier-Seiten-Trick“ geschafft! Glückwunsch! Olé olé!“ (siehe dazu: https://tommiboe.wordpress.com/2013/11/02/kreatives-fahrverhalten/)
Darüber hinaus bedeutet es natürlich auch „Platz da!“, „Fahr schon!“, „Achtung!“ und „Hijo de Puta!“
Diese Bedeutungsvielfalt macht es nicht nur für Neulinge und Außenhupende sondern auch für die eigentlich Eingehupten schwer, genau zu wissen, was jetzt gerade Sache ist. Und so schreit in Gefahrensituationen, das habe ich selbst erlebt, der Busfahrer auch schon mal aus dem Fenster. Das ist einfach weniger missverständlich, als zu hupen. Sonst denkt der Autofahrer noch „Oh! Hübsches Mädchen am Straßenrand!“ oder antwortet einfach instinktiv „Danke! Mir geht’s gut!“ und könnte damit falscher gar nicht liegen, weil wir ihm eine Sekunde später mit unserem Bus eine heftige Breitseite verpassen.
Mein persönlich beeindruckendstes Huperlebnis hab ich schon geschildert… (https://tommiboe.wordpress.com/2013/09/18/respekt-liebe-busfahrer/)
Was ist mit euern? Was bedeutet Hupen für euch? Warum könnt ihr nicht mehr ohne leben?
Fahrvergnügen in Bogotá
Fahrvergnügen in Bogotá
Als ich Anfang 2001 das erste Mal nach Bogotá kam, war der Stolz der Stadt der TransMilenio. Zumindest ein passender Name, um darauf stolz zu sein. Allerdings verbarg sich hinter diesem Namen eine einzige Buslinie, die den Norden der Stadt mit dem Zentrum verband. Immerhin besaß diese eine Linie eine eigene Fahrspur. Mir kam spontan der Gedanke: der Wahnsinn! Das sonstige Verkehrschaos der 8-Millionen-Hauptstadt wurde von 20-30Tausend Bussen übernommen, die das gesamte Stadtgebiet bedienten. Neben den Privat-PKWs gab es noch geschätzte 50.000 Taxis, was mir als damaligem Marburger folgendes interessantes Zahlenspiel aufdrängte: 30.000 Busse + 50.000 Taxis = Gesamtbevölkerung von Marburg (inclusive eingemeindeter Dörfer).
Damals hatte ich das große Glück, dass ich von meinem Zuhause nur 300 Meter zur Septima (VIIa) laufen musste, der Hauptverkehrsader von den nördlichen Vierteln zum Zentrum. Dort konnte ich einfach irgendeinen Bus anhalten, weil tatsächlich alle vorbeifahrenden Busse bis zu meiner Uni auf der Septima blieben.
Aber ansonsten…!!! Hin und wieder musste ich Behördengänge erledigen, weil (ich will mich nicht aufregen, es ist 13 Jahre her!) die beiden an meinem Austausch beteiligten Universitäten ihre organisatorischen Hausaufgaben vernachlässigt hatten, mit anderen Worten: weil sie es verkackt hatten! Und dafür wurde ich in entfernte Barrios entsandt. Begreifen wir es als Chance. Denn so durfte ich hautnah die Komplexität und den Wahnsinn des bogotanischen Bussystems kennen lernen.
Ich ließ mir den Weg erklären. „Also, erst einmal nimmst du den Bus in Richtung Calle 75 con Carrera 21 und dort steigst du in den Bus in Richtung Calle 125 con Carrera 35!“ Okay! Das war eine klare Ansage. Aber die Wirklichkeit an der an Septima war eine andere! Da es keine Haltestelle gab, konnte man überall einen Bus am Straßenrand anhalten. Aber welchen Bus…?! Auf der Carrera Septima verkehren mindestens 50 verschiedene Buslinien und die Busse haben vorne rechts ein kleines Schildchen (siehe Fotos), das das Ziel angibt. Die Entfernung des Busses auf den Bild entspricht ungefähr dem Zeitpunkt, an dem man seinen Arm ausstrecken sollte, um den Bus heranzuwinken. Denn zwischen den einzelnen Stopps kennen die Busfahrer nur Vollgas, sodass die Busse ordentlich an einem vorbeibrettern. Das Zeitfenster, um das Schild zu entziffern und das Handzeichen zu geben, war für Ungeübte wie mich unrealistisch klein. Meist hatte ich das Schildchen dechiffriert, wenn der Bus auf meiner Höhe war, mit anderen Worten: selbst für eine Vollbremsung zu spät! Oft hielt ich dafür einen falschen Bus an („Ups! Sorry!“), was man den Blicken des Fahrers nach als Nahtoderfahrung durchgehen lassen konnte.
Heute, 13 Jahre später, brettern noch immer Busse mit putzigen Schildchen über die Septima und, nein, es gibt noch immer keine Metro, wie zum Beispiel, in Medellín (dieser Seitenhieb auf all die stolzen Bogotaner muss sein!), dafür hat sich der kleine TransMilenio prächtig weiterentwickelt. Etliche Linien versorgen inzwischen die Randbezirke mit dem Zentrum. Und da sie fast immer auf eigenen Spuren verkehren und nicht am üblichen und üblen Stop+Go Bogotás teilnehmen müssen, erfreuen sie sich großer Beliebtheit. Zur Rushhour ist die Beliebtheit so groß, dass spontan ein riesiges Gruppenkuscheln beim Ein- und Aussteigen entsteht, das man fast als Orgie bezeichnen könnte.
Abgesehen vom TransMilenio bleibt die Lage chaotisch. Als ich Bogotá erreiche, ist das erste Mal um 16:00 auf der Straße Stillstand. In der Wohnung in Chapinero Alto bin ich schließlich nach 19:00!
Da freu ich mich doch schon auf meine Abreise morgen früh!
Ähhhh?! Nummer…?












