Knusprigkeit erdbeere
Erdbeer-Tourette
Erdbeer-Tourette – oder: Herrn Boes kleine Erdbeerphilosophie
Es war einmal vor langer, langer Zeit, da schmeckten Erdbeeren… äh, da schmeckten Erdbeeren nach… äh, ich weiß gar nicht, wie ich es erklären soll…? Sie schmeckten nach Erdbeere! Mit einer Basisnote von Sommer und einer Kopfnote von geil! Sie schrien danach, direkt vom Strauch in den Mund zu gelangen, ohne Umwege, ohne Zwischenhandel, Schönheitswettbewerb, Abspülen und ganz ohne Sahne. Dabei mussten sie gar nicht schreien. Denn wir wussten damals ja, was Sache war!
Früher war nicht alles besser (der Granatsplitter aus dem zweiten Weltkrieg erinnert mich noch immer daran bei Wetterwechseln und besonders vor Wahlen in Ostdeutschland), aber die Erdbeeren waren es!
Wer hat eigentlich entschieden, dass ab sofort alle Erdbeeren nur noch richtig gut aussehen müssen, dafür aber der Geschmack egal ist? Gibt’s da so einen historischen Moment, den ich verpasst habe…?
Als wäre es das Schlimmste im Leben einer Erdbeere, wenn sie eine kleine matschige Stelle hätte. Ab wann wurde sie von den anderen Erdbeeren auf dem Schulhof gehänselt: Du matschige Sau! Ihh, Du bist voll eklig! – Zuerst sprang ihr noch die aufsichtführende Lehrbeere zur Seite und versuchte, auf die inneren Werte und tiefgründigen Aromen der gedissten Erdbeere hinzuweisen. Aber diese Einwände wurden mehr und mehr niedergebrüllt: Aber die hat voll die ekligen Stellen da! – Das ist sowas von letztes Jahrhundert! – – Die fängt bestimmt gleich an zu schimmeln!!1!
Tja, so ist die Kommunikation in diesen Zeiten – auch unter Tomaten, äh Erdbeeren. Sorry, ich komme da inzwischen immer durcheinander. Erdbeeren, Tomaten, beide klein, rot und schmecken nach Gurke. Ach, und wie hießen doch gleich diese anderen kleinen roten Dinger, die geil und scharf waren und heute nach nichts mehr schmecken… Ah, richtig: Radieschen! Au Mann! (seufz!)
Vielleicht sollte man Erdbeeren einfach gar nicht mehr essen, sondern nur noch anschauen oder ausstellen, Bilder in der Wohnung aufhängen, als Plastiken mit anderen Früchten in eine Obstschale legen, Schönheitswettbewerbe veranstalten, Wurf- und Flugshows mit ihnen durchführen oder ihnen auf Instagram folgen.
Geht mal an einen Erdbeerstand und fotografiert die Erdbeeren so lange, bis ihr angesprochen werdet. Und dann tut Ihr ganz überrascht: Ach so, essen kann man die auch?! Aber warum schmecken die dann nach nichts…?!
Und wenn Erdbeertörtchen nicht mehr schmecken, dann probiert‘s im Supermarkt mal mit Erdbeer-Tourette und schreit die nichtsnutzen Früchte im Regal an! Macht sie solange fertig, diese geschmacksneutralen Hochstapler-Wixer, bis Euch die REWE-Security aus dem Laden begleitet! Oder referiert fremden Leuten am Obststand über das ESL-Prinzip. Das steht für „Extended Shelf Life“ und zielt auf die Langlebigkeit von Produkten, damit sie möglichst lange im Regal überleben und rundet den Vortrag mit der philosophischen Fragestellung ab, worin denn der Sinn liegt, dass ein Produkt, das niemals gut war, nicht schlecht werden darf…
Puh!
Ich bin auch nur ein Getriebener und manchmal kann ich mir nicht helfen. Dann muss das raus! – So! Und jetzt werfe ich ein paar Erdbeeren in hohem Bogen in den Garten und schau verträumt ihrer Flugbahn hinterher!
Mehr zu Erdbeeren: Über das Flugverhalten von Obst und Gemüse « tommiboe
Zu Erdbeertörtchen: Selbst schuld « tommiboe
Best of Gemüse: Über Radieschen und anderes Obst « tommiboe
Selbst schuld
Selbst schuld
Ja, doch! Ich weiß! Ich bin selbst schuld! Natürlich! Ja, doch…!
Mein Leben lang auf Flugmangos schimpfen (zu Recht!) und dann am 22. April ein Erdbeertörtchen kaufen wollen, nur weil es lecker aussieht. Pah! Aber „lecker aussehen“ ist auch nur der kleine, noch hässlichere Bruder von „gut gemeint“ und bedeutet das genaue Gegenteil! Das weiß doch jedes Erstsemester! Au Mann! Das ist so peinlich!
„Don’t do Erdbeertörtchen in April!“ hat mir schon meine Oma gesagt! Und wie immer hat sie Recht!
Da hilft auch nichts, dass ich die Bäckereifachverkäuferin an der Theke gefragt habe, ob denn die Erdbeeren „schon etwas können“. Auch Bäckereifachverkäuferinnen haben ihre Rhetorikseminare besucht und sagen lächelnd „aber natürlich!“, anstatt auf das heutige Datum zu verweisen.
Den besten Wert erreichen „meine“ Erdbeeren übrigens in der Rubrik „Knusprigkeit“, was eher einem Möhrchen als denn einer Erdbeere als Kern- und Knackkompetenz zugeordnet wird.
Was bleibt noch zu sagen? Der Mürbeteig ist einfach große Klasse, obwohl „mürbe“ ja in meinen Ohren nur wenig positiv klingt. Mürbe, so wie alte, brüchige Knochen. Aber der Teig ist super! Auch die Sahnecreme darüber richtig lecker. Blöd nur diese albernen Erdbeeren obendrauf. Vielleicht sollte ich sie einfach entsorgen oder für ein, zwei Tage mit Zucker bestreut in den Kühlschrank sperren und sie dann mit guter „Vorzugsmilch“ in den Mixer schütten. So heißt Milch heute, die früher mal Frischmilch hieß.
(Mehr zu „Frischer Frischmilch“ unter: https://tommiboe.wordpress.com/2015/04/16/frische-frischmilch/ !)