philosophisches
Hartnäckige Meinung bei völliger Ahnungslosigkeit
Früher, in Zeiten der Ahnungslosigkeit, vertraute die Menschheit auf Expert:innen. Es gab eine Ausnahme. Denn schon damals gab es 80 Millionen Bundestrainer. Aber ansonsten hatte man keine Ahnung, daher auch keine Meinung und hielt die Fresse. Es war, als wäre eine Ahnung die Grundvoraussetzung für eine Meinung. Das klingt heute natürlich völlig absurd. Denn die meisten pflegen ihre hartnäckigen Meinungen bei völlig Ahnungslosigkeit und das ist überhaupt kein Widerspruch mehr. Im Gegenteil! Heute sind wir selbst die Expert:innen und praktischer Weise für alles!
Schließlich haben wir alle an der YouTube-Fernuni unsere Credits erworben und tragen unsere Facebook-Expertisen allen vor, die nicht bei drei im Darknet verschwunden sind. Nach über einem Jahr Corona sind wir doch alle Epidemiologie-Expert:innen, Impf-Strateg:innen und RKI-Ehrenpräsident:innen.
Kennt Ihr auch das Gefühl, Ihr seid der/die einzige im Raum, der/die die Zusammenhänge wirklich blickt? Und nein, es ist gar kein Gefühl, vielmehr ist es inzwischen eine Gewissheit. Eigentlich müsste Markus Lanz jeden Moment bei mir anrufen und mich in seine Sendung einladen! (Ich hab ihm doch extra meine Nummer geschickt…!)
Ich habe mir aber mittlerweile eine andere Rolle zugelegt. Ich zucke einfach mit den Schultern und sage: „Sorry, Impfen…? Nee, dazu habe ich keine Meinung.“ – Probiert das mal aus. Das verunsichert die Gegenüber ungemein, wenn man einfach (aber mit voller Absicht!) auf eine klare Position verzichtet und dazu nett lächelt. – Auch gut: „Lockdown, sorry, hab ich keine Meinung, das ist mir echt zu kompliziert!“ – „Äh, wie, du hast keine Meinung…? Bist du blöd…?!“ – Und ich antworte: „Nee, ich bin nicht blöd. Denn sonst hätte ich ja auf derart komplexe Zusammenhänge so eine einfache Antwort, wie du sie immer hast!“
Ich nenne das „ahnungsvolle Meinungslosigkeit!“ Das wiederum verstehen die meisten anderen natürlich nicht…
Bleibt stabil!
Abiaufsicht oder: die Langeweile des Todes
Abiaufsicht oder: die Langeweile des Todes

Ich weiß, Langeweile muss nicht schlecht sein. Es gibt sie in der entspannenden, erholenden Variante, ein langweiliger Rosamunde Pilcher-Film mit einem langweiligen Weißwein. Große Langeweile kann dafür sorgen, dass die Wohnung geputzt oder gar Socken gebügelt werden und ein langweiliges Buch (z.B. Adalbert Stifters „Nachsommer“) kann hervorragend beim Einschlafen helfen!
Ich hatte gestern die Langeweile des Todes, mit anderen Worten: Abiaufsicht! Nicht dass eine normale Aufsicht bei Klausuren oder Klassenarbeiten besonders spannend wäre. Aber dabei kann man wenigstens lesen, vorbereiten oder korrigieren. Das alles ist bei der Abiaufsicht natürlich nicht erlaubt.
Wir sitzen in unserer Turnhalle, einem Ort von Spiel, Spaß und Bewegung, die Schüler:innen hochkonzentriert über ihren Abiaufgaben, ich atme. Nach einer Viertelstunde ist mein Kaffee ausgetrunken und mein Knoppers aufgeknoppert, mein Handlungsspielraum für die nächsten eineinhalb Stunden damit weitestgehend ausgeschöpft. Die Uhr an der Wand hat nicht einmal einen Sekundenzeiger, den ich aufmerksam verfolgen könnte. Und den Minutenzeiger zu beobachten… keine weitere Erklärung. Ich möchte Euch nicht langweilen!
Mir ist so langweilig, ich habe angefangen, meine Wohnung gedanklich zu putzen. Und alleine im Kopf zu prokrastinieren, ist gar nicht so leicht. Ich versuche mich mit einem Gedankenspaziergang und scheitere. Ich konzentriere mich auf meine Atmung, vier Sekunden einatmen, fünf Sekunden Luft anhalten, acht Sekunden ausatmen – Pranayama! Mein Herzschlag wird immer langsamer, aber mein Puls so hart, dass ich Angst bekomme, es könnte die Abiturient:innen ablenken. Meine yogische Selbsterfahrung lehrt mich: Die Zeit vergeht auch nicht schneller, wenn man sehr langsam atmet. Verdammt! Ich höre völlig auf zu atmen. Mein Metabolismus ist so weit runtergefahren, der lebensnotwendige Restsauerstoff diffundiert über die Haut.
Mein Kollege, der vorne sitzt, fängt an zu weben. Zur Klarstellung: Handarbeiten sind natürlich nicht erlaubt! Mit Weben ist hier der Hospitalismus gemeint, der bei eingesperrten Pferden auftritt, indem sie ihren Kopf großen Schleifen bewegen, um sich ein wenig selbst zu spüren. Ein kleines bisschen Pferd sein, also Pony quasi oder Isländer….
„Bohh – wat is dat langweilig“, denke ich und erinnere mich an einen alten Sketch von Hape Kerkeling. Aber Rätselhefte sind auch nicht erlaubt. Oh Mann, kann einer mal mein Leben vorspulen!
Als ich am Abend mit meiner Schwester telefoniere, erfahre ich, dass in Norwegen Rentner:innen die Aufsicht in den Abiprüfungen übernehmen. Wie geil ist das denn…?! Die Leute, die am meisten in Langeweile geschult, ja, gestählt sind, für Aufsichten einzusetzen. Hochqualifiziert im Endstadium! Viele deutsche Rentner:innen fänden diesen Job wahrscheinlich auch total abwechslungsreich und spannend.
Hallo Kultusministerium Baden-Württemberg, kannst du mich hören…?! – Ich will auch Rentner:innen!!!
Ich sehe schon die Schlagzeile:
„SKANDAL!!1! Zweifach geimpfte Rentner:innen dürfen Abiturklausuren beaufsichtigen!“
Aktuelles zum Ablasshandel – oder: Luther hätte doch keinen Baum gepflanzt
Aktuelles zum Ablasshandel – oder: Luther hätte doch keinen Baum gepflanzt
Vor sehr genau 500 Jahren hat Martin Luther in Worms den Ablasshandel angeprangert. Heute pflanzen wir hier ein Bäumchen, da ein Bäumchen und lächeln selig und mit befreitem Gewissen in den Untergang, äh, in die Zukunft.
Ach, so ein Baum… Herrlich! Was der alles kann! Er blüht und grünt, bietet Nahrung, Schutz, Lebensraum, er wirft Laub und Schatten, schon zwischen zwei Bäumen lässt sich eine Hängematte spannen, drei Bäume bilden ein Dreieck, vier Bäume einen Wald und schon fünf Bäume retten das Klima. Richtiger gesagt: Wir retten das Klima. Schließlich haben wir ja den Baum gepflanzt. Herrlich! Das gefällt uns! I like! Daumen hoch! Sogleich posten wir unsere Heldentat! Wir gehören zu den Guten! Das Leben ist so einfach. Wir lieben einfache Lösungen! Denn einfache Lösungen sind so einfach! Ich wiederhole mich…
Bäume Pflanzen ist gerade der heiße Scheiß! Der Gründer von „Atmosfair“ drückt es treffend aus: „Das Pflanzen von Bäumen hat einen hohen emotionalen Wert!“ Emotionen, yeah! Und sowas lässt sich nun mal gut vermarkten. Kein Wunder, dass jede*r mitmachen möchte beim großen Bäumepflanzen. Sat1 hat gerade in einer eigenen Sendung einen „Waldrekord“ aufgestellt und 1,5 Millionen Bäume gepflanzt. Wirklich jede*r Dödel kann mitmachen. Apropos Dödel: Es gibt sogar Fotos, wie Söder einen Baum umarmt (an dieser Stelle aus ästhetischen Gründen kein Beweisfoto!). Inzwischen gibt es unzählige Apps, Homepages, NGOs, über die man in der ganzen Welt sein Gewissen erleichtern und ja, ich wiederhole mich, Bäume pflanzen kann. (Recherchiert selber. Aber verliert nicht den Überblick!)
Man könnte sagen, Bäume sind der kleinste gemeinsame Nenner beim Klimaschutz. Wer keine Bäume mag, der frisst auch kleine Kinder und setzt seine Oma auf der Eisscholle aus. Nur gut, dass es bald keine Eisschollen mehr gibt. Aber das führt zu weit…
Aber wann kommt denn endlich der Haken, fragt sich das aufmerksame Lesery*? Warum regt sich der Herr Boe schon wieder auf? Was hat er nur? Mag er keine Bäume…? (*Entgendern nach Phettmann)
Doch er mag Bäume. Aber er regt sich auf, weil es sich vielfach leider nur um einen großen, modernen und grünen Ablasshandel handelt. Das Interesse von Regierungen und Konzernen, über CO2-Emissionshandel mit CO2-Zertikaten für Baumpflanzungsprojekte die eigenen Emissionen kleinzurechnen und auszugleichen, ist riesig. Dem Klima wird dabei leider wenig geholfen, weil viele Aktionen überbewertet sind und sich hübschrechnen. Das ist zwar schon lange bekannt, aber das möchte niemand so recht hören. Bäume pflanzen ist einfach zu einfach und zu sexy. Aber die Klimawirksamkeit des Regenwaldes lässt sich durch das Pflanzen von einem Bäumchen hier, einem Bäumchen da oder von Monokulturen leider nicht (wieder-)herstellen. (Im SPIEGEL Nr.15/2021 oder hier!)
Eins ist sicher: Martin Luther hätte bei diesem Scheiß nicht mitgemacht, sondern stattdessen sein Kohlekraftwerk dichtgemacht!
„Deine Mutter war abseits!“
„Deine Mutter war abseits!“ – Philosophisches über den VAR
Eintracht Frankfurt gegen VfB Stuttgart, ja, es geht um Fußball. Gern geschehen!
56. Minute, Kostic (ausgerechnet!) schießt die Eintracht in Führung, aber nein, stopp! Der VAR meldet sich aus dem bekanntesten und meist gehassten Keller Deutschlands, aus Köln. Dort werden die 2500 Jahre alten Schiefertafeln mit den heiligen Regeln des Fußballweltverbandes aufgebahrt.
In diesem Keller wird gerade kalibriert, was das Zeug hält. Ein Handspiel, ein Abseits? Keimt die VfB-Hoffnung. Ich hatte nichts gesehen. Aber was weiß ich schon, während die Honorarprofessoren in Köln prüfen. Die Auflösung folgt: Nein, Costic steht nicht im Abseits. Auch der Passgeber (Ndicka) nicht, auch des Passgebers Passgeber (Sow) nicht. Aber – ich höre eine durchs Kellergewölbe gedämpfte Fanfare – des Passgebers Passgebers Passgeber (Jovic) steht, wie selbst mit der kalibrierten Hilfslinie nicht deutlich zu erkennen ist, womöglich zartschmelzend im Abseits.
Mit anderen Worten: „Deine Mutter stand abseits!“
Lächerlich! „Wie durch Ahnenforschung, Exhumierung und DNA-Analyse festgestellt werden konnte, stand bereits ein entfernter Vorfahre des Torschützen womöglich abseits!“ Oder aber wie der DAZN-Kommentator trocken meint: „Korrekte Entscheidung!“ – Alter, was?! Ich platze fast, so lächerlich ist die Entscheidung oder, besser gesagt, so lächerlich ist die Regel (obwohl sogar der VfB davon profiziert!) und der Expertendarsteller von DAZN sagt „korrekte Entscheidung!“ dazu. Damit ist der Kommentar genauso lächerlich wie die Entscheidung, eigentlich sogar schlimmer. Denn das bedeutet ja, er findet es anscheinend völlig okay, mittlerweile ein Tor nicht zu geben oder es sogar zurückzunehmen, nur weil der Busfahrer des Gästeteams auf einem Behindertenparkplatz gehalten hat…! „Ja, sorry, wir haben gerade noch mal überprüft, steht so auf den FIFA-Schiefertafeln!“ #NichtMehrMeinFußball!
Mein Verdacht: Auch der DAZN-Kommentator ist natürlich längst kalibriert.
Mit 248 km/h durch Deutschland
Mit 248 km/h durch Deutschland – Viel Spaß mit…
In welchen Sätzen kann man das Wort „eigentlich“ besonders sinnvoll verwenden? Da hat jede*r sicher eigene Erfahrungen. Mir gefällt ja: „Eigentlich fahre ich gerne Bahn!“ Diesen Satz kann man für den Einzelfall aber auch generell verwenden. Denn irgendwas passiert bei jeder Fahrt. Und trotzdem sitze ich gerne bei 248km/h im ICE und lasse mich in den Norden fahren und überraschen, was wohl heute noch passiert. Bin schon ein bisschen neugierig…
Bei der Bahn ist das Surfen im ICE übrigens kostenlos. Ne klar, das zahlt dann die Bahn für mich oder was? Einfach so…? Netter Zug von denen! (Hehe! Wegen Zug und DB) Frage: Kann ich mir das Geld, falls ich nicht surfen will, von der Bahn auch auszahlen lassen…?
Inzwischen kann man bei der Deutschen Bahn ja auch selbst einchecken, was praktisch ist, weil man dann seine Ruhe hat. Putzig finde ich allerdings, was man erfährt, wenn man in der DB-APP die Informationen zu diesem Service liest. Da erfahre ich, dass man „kostenfrei einchecken“ kann, und denke gleich: Toll, ein extra Service, für den ich nicht extra zahlen muss! Hammer!
Lustiges Selbstverständnis, dass es als Service der Bahn durchgeht, wenn ich mich selbst kontrolliere und mein Ticket entwerte und den Job der Schaffner*innen übernehme und langfristig vielleicht sogar ganz wegnehme. Andererseits, vielleicht finden die dann einen erfüllenderen Job, als sich ihr Berufsleben lang von unzufriedenen Bahnkund*innen anschnauzen zu lassen. Könnten mir dankbar sein. Klingt für mich so ein bisschen nach dem Service von Starbucks, bei dem man sich selbst seine Getränke abholen und an den Platz bringen darf. Auch ein geiler Service – von mir! Bin ich nach dieser Logik ein Selbstdienstleister und sogar steuerpflichtig? Nein, weil ich ja bei Starbucks arbeite. Wir müssen in Deutschland keine Steuern zahlen. Und das Trinkgeld, das ich mir selber gebe, darf ich ebenfalls unversteuert behalten. Das klärt im Übrigen §19 des Einkommenssteuergesetz, falls mal jemand fragt…!
So, jetzt lass ich mich von der Bahn sanft in den Schlaf ruckeln und wünsch Euch allen Frohe Weihnachten!




