Asche und Käse
Asche und Käse
Patagonien ist schön, ganz schön anstrengend.
Eigentlich fahre ich gerne Rad. Theoretisch!
Mein Radverleiher meint, es gibt gutes Wetter für meine dreitägige Tour. Allerdings soll es am ersten Tag windig werden. Mir ist wohl nicht ganz die Bedeutung dessen klar, wenn das in Patagonien extra erwähnt wird, weil windig ist es ja eigentlich immer. Dementsprechend anstrengend wird der erste Tag. Es gibt eine interessante US-amerikanische Studie über die Korrelation von Gegenwind und Fahrradfahren, die ergeben hat, dass weltweit in 60% der untersuchten Fahrten der Wind eher von vorne als von hinten gekommen ist. Das kann ich zu mindestens 80% bestätigen!
Aber es entschädigen immer wieder die grandiosen Aussichten auf der „Ruta de los siete Lagos“, der Straße der sieben Seen.
Ich komme in einer kleinen Hostería an einem der unzähligen sieben Seen unter. Nach so viel draußen Unterwegssein bin ich anständig müde und das dadurch körpereigen produzierte Morphium betäubt mich umgehend.
An meinem zweiten Tag will ich eigentlich nur einen kleinen Abstecher zum nächsten See, dem Lago Traful, machen. Aber der Tag entwickelt sich viel ernster als gedacht. Der Weg zum See ist eine Dirtroad, aber eine besonders dreckige! Und das werde ich ordentlich zu schmecken und zu inhalieren bekommen. Denn im Juni 2011 beim letzten großen Ausbruch des chilenischen Vulkanverbundes Puyehue-Cordón Caulle legte sich, auch ohne Einreisegenehmigung, eine ordentliche Ascheschicht auf die argentinische Seite. Eine Folge war ein Fischsterben in den Seen. Und die Reste dieser Asche werden vom patagonischen Wind noch immer lustig hin und her geweht, als handele es sich um ein Gesellschaftsspiel. Und mittendrin bin ich, der einzige Radfahrer, der den ganzen Aschestaub wegatmen muss, der von den vorbeifahrenden Autos aufgewirbelt wird. Die Autos passieren mich ziemlich genau im Minutentakt, sodass der Asche die Möglichkeit gegeben wird, sich kurz auszuruhen, um dann sofort wieder aufgewirbelt zu werden. Manchmal, in seltenen Momenten des Glücks, wenn sich die Staub- und Aschewolken vollständig gelegt haben, kann ich kurz die schöne Landschaft genießen. Zum anderen ist die Piste in so erbärmlichem Zustand, dass ich kaum zum Aufblicken komme. – Am Lago Traful finde ich ein schönes windstilles Plätzchen, wo ich meinen Körper parken kann.
Am Ende des Tages bleibt mir, mal ein großes Kompliment an meine Schleimhäute auszusprechen. Ihnen wird ja im Allgemeinen viel zu wenig Beachtung für ihre großartige Arbeit geschenkt.
Kurz nach dem Duschen komme ich zurück in mein Zimmer und finde eine feine Ascheschicht auf meinem Stück Käse, das auf dem Tischchen am offenen Fenster liegt. Das kommt mir doch bekannt vor… Ah, richtig: Morbier, der französische Käse mit dem Aschestreifen in der Mitte, der heute als Güte- und Wiedererkennungsmerkmal gilt. Ursprünglich war das eher ein Armutsbekenntnis, da es pro Tag nicht genügend Milch für einen ganzen Käse gab, so wurde der Laib zum Schutz gegen äußere Einflüsse mit einer Ascheschicht abgedeckt. Logisch zu Ende gedacht könnte man den Käse natürlich noch exquisiter mit einer patagonischen Vulkanascheschicht abdecken. Auf diesem Weg würde die Region endlich die nervende Drecksasche loswerden. Mal schauen, wer wann auf diese großartige Geschäftsidee aufspringt. Denn eines ist sicher: An verblödeten Kunden, die auf ein solches Produkt anspringen würden, mangelt es nicht.
Ach ja… Wo sind die Fotos?
Nachdem meine Kamera im Klo gelandet und ertrunken ist (ließ sich nicht mehr beatmen, Chip konnte jedoch gerettet und inzwischen erfolgreich transplantiert werden in meine neue, dritte Kamera) und die Fotos vom Handy noch nicht auf dem Rechner sind (fehlendes Lesegerät), kann man sich ein paar schöne Bilder vom Ausbruch hier anschauen:
hier geht’s dann zur nächsten Etappe:
https://tommiboe.com/2014/02/17/gespaltenes-wasser/