Klobuerste

Gepostet am Aktualisiert am

Der Tag, an dem mir beinahe der Kopf abgerissen wurde

Oder einfach: Die neue Klobürste!

Während meines Studiums wohnte ich eine Zeitlang in einer 7er-WG, was man sich wie das Leben in einer sonstigen WG vorstellen kann – nur schlimmer! Schlimmer durchaus auch im positiven Sinne. Denn es war immer etwas los. Irgendjemand hatte immer gerade etwas zu feiern, um Anlässe waren wir nie verlegen: Geburtstage, Besuche, bestandene Prüfungen, nicht bestandene Prüfungen, Semesterende, Semesteranfang, sogar christliche Feiertage wurden schamlos missbraucht… was auch immer!

Aber er war besonders im negativen Sinne schlimmer, weil es kaum bessere Gründe gibt, sich erfolgreich in die Haare zu geraten, als zusammenzuwohnen. Unterschiedlichste Interessen, (Ess-) Gewohnheiten, Hygienevorstellungen (, was oft auf dasselbe heraus­kommt), Haarlängen, (Musiklautstärken, Nachtaktivitätsgrade,) Urinierverhalten, ja gar Geschlechter prallen mitunter recht schwungvoll aufeinander. – Die charakteristische Diversität oder Artenvielfalt einer WG machen ihren Reiz, aber auch ihre Reibung aus. Penibel, pragmatisch, pubertär, gleichgültig, herrschsüchtig, zickig, beschwichtigend, provozierend, (stutenbissig) oder gar erzieherisch… Ein Molotovcocktail der Gefühle!

Die Sprengkraft dieser bunten Mischung steigt mit der Bewohnerzahl n, was ein mathematisches Phänomen ist, wie mir einer meiner Mitbewohner, ein Mathematikstudent, (einmal) vorgerechnet hatte. Allerdings steige diese Sprengkraft nicht unendlich, sondern sie kippe ab einer gewisse Zahl wieder ab. Er begründete dies so, dass die der Reibung zur Verfügung stehende Oberfläche einer jeden Person begrenzt sei. Das heißt, dass bei „n“ gleich 7 eine gewisse Sättigung eintrete und die anstehenden Konflikte nicht mehr optimal emotional ausgelebt werden könnten. Und damit sinke der PPSKK, der potenzielle Personensprengkraftkoeffizient. Aber genug dazu! Sollen sich damit unterbeschäftigte Mathematik-Nerds auseinandersetzen…!

Kommen wir zu dem Tag, an dem ich die potenzielle Sprengkraft unserer WG testete – mit maximalem Erfolg. Meine gute Tat des Tages war es gewesen, eine neue Klobürste für die WG zu besorgen. Unsere alte war – gelinde gesagt – ziemlich benutzt. – Als ich meinen Kauf im Klo austauschte, bemerkte ich, dass es sich bei der neuen und der alten um sehr ähnliche, kaum zu unterscheidende Modelle handelte. Und in diesem Moment ritt mich das Teufelchen! Eine kleine, aber gemeine Idee durchzuckte mein Gehirn und verlangte nach sofortiger Umsetzung, bevor irgendwelche Konsequenzen oder gar mögliche Personensprengkraftkoeffizienten ermittelt werden konnten.

Noch bevor mich ein Mitbewohner mit der neuen Bürste gesehen hatte, war ich in der Küche, hatte die Spülmaschine geöffnet, die neue Bürste im Geschirr platziert, die Maschine wieder geschlossen und den Spülvorgang gestartet. Pfeifend verließ ich die Wohnung und machte mich auf den Weg in die Uni.

 

Als ich abends nach Hause kam, brannte die Hütte! Die WG war vollzählig um den Küchentisch versammelt. Meine fröhliche Begrüßung löste eine neue Eiszeit aus, was in Zeiten der Klimaerwärmung womöglich eine metaphorische Fehlbesetzung ist. Aber jegliche Mimik um den Tisch war eingefroren. Nicht einmal Chris, dem eigentlich gar nichts zu peinlich oder zu dumm war und der immer unpassende Kommentare unters Volk streute, zuckte nicht mit dem Mundwinkel. – „He! Was ist los? Hat die Mensa die Preise erhöht?!“ Ein anderer Ausdruck für: „Ein plötzlicher Todesfall…?!“ – Als Antwort hielt mir die ohnehin etwas spaßfreie Miriam die Klobürste unter die Nase: „Sagt dir das etwas…?!“ – „Kann sie denn sprechen?“ – Chris rutschte aus Versehen ein Kichern heraus, wurde aber durch einen Blick der Kategorie „Ja zur Todesstrafe!“ zum Schweigen gebracht. Auch Manuel machte keinen amüsierten Eindruck: „Das hier ist echt nicht witzig!“ – „Was ist nicht witzig?“ – Miriam wedelte mit der Klobürste. „Das hier! Die war in der Spülmaschine!“ – „Ach!“ – Frostiges, tötendes Schweigen schlug mir entgegen! Spaßbereitschaft sah definitiv anders aus! Offensichtlich hatten schon alle anderen WG-Bewohner glaubhaft eidesstattliche Versicherungen abgegeben, nichts mit dieser Klobürstennummer zu tun zu haben. – Da blieb wohl nur noch ich übrig!

Ich schnüffelte an der Klobürste, die sich noch immer direkt vor meiner Nase befand: „Naja! Zumindest ist sie jetzt mal wieder richtig sauber!“ – Eines der heutzutage selten eintretenden Wunder sorgte dafür, dass meine Mitbewohnerin Miriam in diesem Moment nicht platzte, obwohl alle physikalischen Anzeichen daraufhin deuteten. „Du… du… du… du bist echt das Letzte!“ stammelte Miriam schließlich kaum hörbar hervor. Ehrlich gesagt, ich genoss dieses absurde Szenario. Es handelte sich um eine sogenannte „Fun-Omega-Situation“, die gerne mit „Schluss mit lustig“ übersetzt wird und ich besaß den Schlüssel, um die Hintertür (aus) dieser ausweglosen Lage zu öffnen.

Nachdem ich mich also wirklich gründlich versichert hatte, dass es sich bei unserer Küche um eine garantiert 100% humorbereinigte Zone handelte, versuchte ich mich auf einem fremdem Terrain: der Deeskalation! – Ich verzichtete auf Humor und gestand, jawohl, die Bürste in die Spülmaschine gesteckt zu haben und fügte, ganz ohne dramatische Pause, hinzu, dass es sich dabei aber um eine neue Klobürste handele und ausdrücklich nicht um unsere alte! – Weiterhin eisiges Schweigen. In den Blicken meiner WG-Genossen war keinerlei Erleichterung zu spüren, kein Aufatmen, kein Auflösen der Spannung!

Man glaubte mir nicht! – Miriam sprach den Gedanken aller aus: „Sicher!“ – Auch ein bekräftigendes „Ja, ehrlich!“ konnte die Geschworenen nicht überzeugen! Ich war ein ekliges, dummes Schwein, das die versiffte, Scheißetriefende Klobürste mit dem übrigen Geschirr in die Spülmaschine gesteckt hatte. – Ich war überführt, verurteilt und musste nur noch meine gerechte Strafe über mich ergehen lassen: die Entziehung sämtlicher Menschenrechte war vermutlich nur der harmlose Teil davon!

Meine politische Erkenntnis daraus war, dass demokratische Prozesse innerhalb einer WG recht schnell zu einer Abschaffung der Gewaltentrennung und vermutlich im nächsten Schritt zur Todesstrafe führen. Was in meinen Augen eindrucksvoll beweist, dass Demokratie eine weitestgehend überschätzte Angelegenheit ist.

Ihr glaubt mir nicht?“ – Blicke sagen mehr als Worte. „Ähm, was ist mit der Unschuldsvermutung?“ – „Pah!“ machte ausgerechnet Manuel, unser wertekonservativer Jurastudent, und ich machte mir eine gedankliche Fußnote, mal ein klärendes Gespräch mit seinem Juraprof zu führen.

Bettina, die bisher noch nichts gesagt hatte, räusperte sich: „Okay! Wenn das hier eine neue Klobürste ist, wo ist dann die alte? Auf dem Klo ist sie nämlich nicht…“ – Bettina musste sich einige missbilligende Seitenblicke gefallen lassen. „Naja, die alte habe ich weggeschmissen!“ – „Soso!“ Miriam natürlich: „Weggeschmissen…!“ – „Ja, weggeschmissen! Ich weiß nicht, ob du sie dir gewöhnlich einrahmst…? Aber ich werde sie, um euch alle zu beruhigen, wieder aus dem Müll holen! Und zwar jetzt gleich, bevor es zu selbstjustiziablen Übergriffen kommt.“ Ich nickte in die Runde und machte mich auf den Weg zu den Mülltonnen, wurde aber von Manuel gestoppt. „Keine Tricks!“ raunte er mir zu. – „Was…?!“ Ich verstand nicht ganz, worauf er hinauswollte. „Keine Tricks!“ – Was guckte der denn für Filme? Damit sollte er dringend aufhören. Ich wiederholte für Manuel langsam und deutlich: „Ich gehe jetzt runter und hole die Klobürste aus dem Müll!“ – „Gut, und ich komme mit!“ – Auf diese Weise lernte man seine Mitbewohner mal von einer ganz anderen Seite kennen. Manuel begleitete mich also auf meinem Weg zu den Mülltonnen und ich konnte es mir dieses Mal nicht nehmen lassen, ihn noch ein wenig vorzuführen. Ich sah also zuerst in der falschen Mülltonne nach und begann, begleitet von einigen nervösen „Das gibt’s doch gar nicht!“, in ihr zunehmend hektisch herumzuwühlen. Nachdem Manuel mein merkwürdiges Treiben einige Momente beobachtet hatte, erhob er hämisch seine Nase: „Na…?! – Ist sie nicht mehr da? – Wahrscheinlich geklaut worden, was?!“ – „Äh, ja, äh, vielleicht hat sie jemand, äh, in die andere Mülltonne getan…!“ – „Sicher! Schwer davon auszugehen! – Warte, ich schau mal für dich nach!“ – Herrlich!

Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie Manuel die Kontrolle über seine Gesichtsmuskulatur verlor, als er die Klappe der Mülltonne öffnete und gleichzeitig seine eigene zu Boden fiel. Denn dort war sie! Die alte, versiffte Klobürste! „Wie wär’s jetzt mit einem kleinen Lächeln?“ – „Du Arsch!“ – Naja, oder so! Ich klopfte ihm auf die Schulter: „Ich geh dann mal wieder hoch. Magst du die Bürste mit hochnehmen? Ich glaub, Miriam wollte sie sich noch einrahmen!“

Haben solche Geschichten nicht immer eine Moral? Ich glaube, ich habe gelernt, mich nicht mehr ausschließlich den Ideen meines Teufelchens hinzugeben, zumindest nicht völlig unreflektiert. Des Weiteren, erkenntnistheoretisch, eignet sich, meines Erachtens, dieses Klobürstenexperiment ausgezeichnet dafür, um die Mitbewohner einer WG besser kennenzulernen, auch was demokratische Prozesse angeht. Man sollte sich dabei bewusst sein, dass Experimente scheitern können. Aber dieses Scheitern kann schließlich auch als Chance betrachtet werden.

Die konkreten Folgen für unsere WG waren, dass kurze Zeit später Manuel und Miriam ausgezogen sind. Die beiden sind übrigens seitdem zusammen und ich weiß bis heute nicht, wen von beiden ich dafür beglückwünschen muss.

Von allen übrigen Beteiligten wird inzwischen herzlich über diese Geschichte gelacht. Und Chris nimmt seither auf jede WG-Party, auf die er geht, in seinem Rucksack eine neue Klobürste mit und warte auf den unbeobachteten Moment, sie in der Spülmaschine zu verstecken, was zur Folge hat, dass er sehr lange auf den Partys bleiben und dort viel trinken muss, da es auf WG-Partys kaum unbeobachtete Momente in einer Küche gibt, da sich dort, bekanntlich, immer die meisten Menschen aufhalten. Und falls Ihr mal auf einer Party zu später Stunde einen komischen Typen mit Armeerucksack, der an der Spülmaschine rumlungert, fragt bitte, ob er Chris heißt und grüßt ihn ganz lieb von mir!

Na, und wenn Euch mal langweilig in Eurer WG ist, wisst Ihr jetzt ja, was zu tun ist!

Ein bisschen Spaß muss sein…

2 Kommentare zu „Klobuerste

    Veit sagte:
    September 15, 2013 um 11:11 am

    ich nehme jetzt auch mal ne Klobürste mit und probiers aus…..aber in einer WG in der ich nicht wohne 🙂

    Der Besteck-Nazi « tommiboe sagte:
    April 19, 2020 um 8:24 pm

    […] ein paar Wochen vor unserem Klobürstendrama hatten wir mal wieder eine solcher WG-Sitzungen gehabt, in der über gemeinsame Aktionen, […]

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