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Kleiner Grenzverkehr

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Kleiner Grenzverkehr – Teil 1

Ich nehme den „kleinen“ Grenzübergang zwischen Venezuela und Kolumbien, zwischen Maracaibo und der Península La Guajíra, vor dem in manchen Reiseführern gewarnt wird. Ui! Das klingt doch nach Abenteuer. Ich weiß aber inzwischen, dass das nichts weiter zu bedeuten hat.
Nach einem schwül-heißen Tag in Maracaibo fällt mir der Abschied aus der Ölhauptstadt Venezuelas nicht sonderlich schwer. Immerhin konnte ich beim gestrigen Abendessen im einzigen sich drehenden Restaurants Venezuelas das einzigartige Naturphänomen Catatumbo über dem Lago de Maracaibo zumindest noch von Weitem erblicken. Das ist so etwas wie Polarlicht light für Venezolaner: ständig zuckende Blitze ohne Donner!
Am Terminal wird mir dieses Mal schon vorm Eingang „Maicao!“ entgegen gerufen, mein kolumbianischer Grenzort. Es wird mir der Dienst in einem „Por Puesto Taxi“ angeboten. Dabei handelt es sich um eines dieser uralten US-Schlachtschiffe, in denen man einen Platz (also nicht das ganze Taxi) erwirbt. Das Ganze ist zwar etwas teurer als ein Bus aber natürlich viel billiger als ein Taxi selbst. Außerdem hält es nicht überall und sollte dadurch eigentlich schneller sein. Immer verdächtig, wenn das Wort „eigentlich“ in solchen Zusammenhängen fällt!
Naja, warum nicht? – Warum nicht, erklärt sich mir im Verlauf der nächsten Stunde, in der wir auf die nötigen 5 Passagiere warten, die das „Por Puesto“ voll machen! Jaja, es geht gleich los… Sonst wird weiter gewartet…
Nach einer Stunde sind die Wartenden (inklusive mir) sauer genug, sodass uns das Personal dieses „Por Puestos“, dann auch zu viert losfahren lässt. (Auf dem Foto unten erkennt man die vier Männer, die sich mit unserer Fahrt beschäftigt haben, also mehr oder weniger für das „Reiseunternehmen“ arbeiten, unter dessen Flagge unser rollender Mülleimer segelt. – Nicht eingerechnet auf dem Extra-Foto der freiberufliche Typ, der mit Trillerpfeife den Leuten beim Einparken hilft, ob sie wollen oder nicht. Was auch so ein Job ist, den man mal für ’ne Viertelstunde, aber bitte keine Minute länger, übernehmen würde.)
Um Fahrweisen und deren -vergehen soll es hier nicht gehen. Das würde den Rahmen völlig sprengen. Nur so viel: Wer auch nur einen einzigen Tag auf venezolanischen Straßen er- und überlebt hat, wird sich in Europa nie wieder über irgendetwas aufregen (können). Versprochen!
Natürlich müssen wir, bevor’s losgeht, auch noch mal volltanken, was verständlich ist, wenn man sich erinnert, dass Tanken in Venezuela nur Zeit, aber niemals Geld kostet. Die Strecke dauert ungefähr zwei Stunden (theoretische Fahrzeit) und auf den letzten hundert Kilometern vor der Grenze gibt es keine Tankstellen mehr.
Unser junger Fahrer hält aber später trotzdem noch zweimal an, um sich am Straßenrand den Tank auffüllen zu lassen (siehe Foto). Das eine Mal auf offener Strecke an einer wilden Müllhalde, an der dann eine dubiose Person mit Plastikflaschen zwischen den Büschen hervorspringt… Hä?! Ich begreife das nicht! Das Benzin ist in Venezuela quasi ein Werbegeschenk der sozialistischen Regierung an sein Volk. Warum also kurz vor der Grenze überteuerten illegalen Sprit tanken? Hä?! – Beim zweiten Nachtanken sind es gerade mal ein paar Literchen für 20 Bolos, was, wie wir gelernt haben, für vier venezolanische Tankfüllungen ausreicht!
Das wirkt, auf den ersten Blick, bizarr. Aber es lohnt sich ein zweiter. Denn es lohnt sich sehr, mit einem randvollen Tank über die Grenze zu kommen, um dort so viele Liter wie möglich abzusaugen und zu verkaufen. Klingt idiotisch. Aber nicht lange, wenn man sich bewusst macht, dass der Sprit in Kolumbien zu handelsüblichen Preisen gehandelt wird (3000 Peso pro Liter = 1,15 €) und in Venezuela verschenkt wird. Zur Wiederholung und zum Weitererzählen: „An einer venezolanischen Tankstellen ist Pissen teurer als Volltanken!“ Und das ist kein Witz!
Auf der Fahrt von Maracaibo bis zur Grenze kommen wir an geschätzten acht bis zwölf Kontrollposten vorbei. Wir müssen meist nicht mal die Pässe zeigen, aber es staut sich trotzdem jedes Mal der Verkehr auf.
Schließlich kommen wir an die Grenze. Die venezolanische Grenzstelle ist geschlossen, Mittagspause. Dementsprechend vergrößert sich die Schlange der Anstehenden. Nach der Pause wird die Schlange aber dann erstaunlich schnell und ohne lästige Fragen weggestempelt. Unfreundlich natürlich und bei mir landet der Stempel auf einer Seite im Reisepass, die ausdrücklich für deutsche Vermerke vorgesehen ist. Aber sich jetzt zu beschweren, das hieße, sich selbst ins Knie zu schießen.
Bei den Kolumbianern geht’s etwas gediegener zu. Man sitzt an, in einem klimatisierten Raum! Ich bin im übrigen der einzige nicht-Venezolaner/Kolumbianer im ganzen Grenzbereich, was dafür sorgt, dass es natürlich bei mir zu Verzögerungen kommt. Mein Fachbearbeiter hat mir schon mit Schwung den Stempel in den Pass gepresst, verharrt aber und verschwindet von seinem Platz und läuft zu Kollegen im hinteren Bereich! Och, nöh! geht mir durch den Kopf! Was denn nun? Der Typ kommt trällernd, lächelnd zurück und fragt mich, ob ich nach Santa Marta fahren würde. Ich sage: Ja, wahrscheinlich schon. Ja, weil es hier Probleme gibt mit dem Pass, da müsste ich dort noch mal auf ein Amt. Hä…?! Was ist…?! – Zum Glück wartet die Kolumbianerin, die mit mir ihm Taxi saß, noch so halb neben mir und eilt zu Hilfe und fragt nach! Damit hat der Typ nicht gerechnet! Sie sagt, er soll mal genau die Adresse und seinen Namen aufschreiben und noch mal genau erklären, was denn nun Sache sei. Tatsächlich beginnt er, etwas aufzuschreiben, aber hört dann plötzlich auf und meint, irgendwie habe sich jetzt doch alles geklärt. Pasaporte und Tschüss! Hä?! Ich schüttele innerlich ein paar Mal den Kopf. Was sollte das denn werden? Mal hübsch den einzigen Gringo über den Tisch ziehen…? Von wegen Probleme und dann mit ein paar Scheinchen die Sache erledigen… Netter Versuch! Ihr Schweinepriester!
Meine Reise endet für heute in Riohacha, der größten Stadt von La Guajira, einem der trockensten Flecken Kolumbiens. Demwidersprechend geraten wir in ein extrem potentes Tropengewitter mit allem Drum und Dran. Die fünf Schritte, die ich im Terminal vom Bus zum Unterstand machen muss, machen mich nass! – Es scheppert, zuckt und knallt, als hätte der Himmel Totalschaden. Dann haut’s im Terminal auch noch den Strom raus. Die Gesamtchoreographie stimmt!
Eine Stunde später fährt mich ein Taxi durch die Seenplatte Riohachas. Was ein Spaß. Jetzt fehlt nur noch ein kaltes Aguila (das Bier der kolumbianischen Küste).
Bienvenido a Colombia!

Maracaibo: Taxi, Taxifahrer plus Personal des
Maracaibo: Taxi, Taxifahrer plus Personal des „Reiseunternehmens“
„Nachtanken“ vor der kolumbianischen Grenze, um so viel Sprit wie möglich über die Grenze zu bringen!
Kolumbianischer Straßenrand: Hier wird das frisch abgesaugte, venezolanische Benzin wieder verkauft.
Kolumbianischer Straßenrand: Hier wird das frisch abgesaugte, venezolanische Benzin wieder verkauft.

Spaß mit der DHL

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Spaß mit der DHL in Venezuela

Heute ist Abreisetag und mir bleibt, ein letzter Job zu erledigen. Meine Tagesaufgabe ist der Versand eines Paketes nach Deutschland. Klingt erstmal nicht zu kompliziert. Aber nicht vergessen: Ich bin in Venezuela. Und das zuständige venezolanische Sprichwort heißt: „Tan fácil como uno se imagina que no puede ser!“ So einfach, wie man sich das vorstellt, kann das gar nicht werden.

Nachdem ich mir meine Fahrkarte für den Nachtbus nach Maracaibo gekauft habe, steige ich in ein Taxi und frage nach einem internationalen Postservice, weil es der Service im Terminal nur national macht. Der Taxifahrer weiß was und fährt los. So soll es sein. Kurz darauf stehe ich vor einer DHL-Filiale. Aha. Darauf wäre ich gar nicht gekommen, dass es in Venezuela sowas gibt. Na, die werden ja wohl Deutschland beliefern können.
Der junge Mann am Schalter ist schnell von der Aufgabe überfordert. Zum Glück steht ihm eine erfahrenere Kollegin zur Seite, die ihm hilft, meinen Namen fehlerfrei von meinem Reisepass ins Auftragsformular am Computer einzutragen. Dann noch meine Anschrift, meine Telefonnummer und schon kommen wir zur Lieferadresse.
Das Paket enthält im übrigen zwei sehr schöne, handgefertigte Holzspielzeuge, von meinem „Gastvater“ in seiner Werkstatt angefertigt. Wirklich schön! Ich sag das an dieser Stelle, lieber Christoph, (lieber Moritz und Fiete,) vielleicht ein wenig übertrieben. Aber ich weiß halt nicht, ob diese Fracht jemals ankommen wird.
Denn bei der Eingabe des Codigo postal, der Postleitzahl, sagt das System: No! Meine beiden DHL-Dienstleister können diesen Code nicht eingeben. Vielleicht bedarf es für solche Eingaben einer dritten Fachkraft? Ich weiß es nicht. Jedenfalls überprüfe ich erst einmal, ob die PLZ stimmt, und scheide damit wenigstens für heute als Fehlerquelle aus. Die Frau glaubt mir nicht und holt als Beweismittel ein großes internationales PLZ-Verzeichnis hervor und findet, o Wunder, die besagte PLZ. Trotzdem verweigert sich das System standhaft – was soll es auch tun?
Ein weiterer, noch erfahrenerer Mitarbeiter eilt zu Hilfe und erklärt, der Fall sei ganz einfach: Die Region mit dieser PLZ würde von der DHL nicht beliefert werden, deshalb stünde sie natürlich auch nicht im System! Aha, na sicher! Denn der Ort, erklärt er weiter, befinde sich irgendwo außerhalb und damit auch außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der DHL. Klarer Fall und Tschüss! Er ist so schnell verschwunden, dass ich gar nicht dazu komme, ihn persönlich auszulachen. Jaja, fügt die Frau noch hinzu, in Mérida würden nämlich auch nicht alle Bezirke von der DHL beliefert werden!
So ist das also, liebe DHL?
Ich versuche zu erklären, dass die DHL durchaus in der Lage sei, alle Postleitzahlen in München zu beliefern und unter Garantie auch die meines Bruders. Es handele sich hier um einen Fehler im System. Aber das mögen die Beschäftigten nicht einsehen.
Ich könne ja mein Paket an einer andere Postleitzahl in München schicken und dann könne der Abholer dort anrufen und das Paket abholen. Hä?! Sprachverwirrung? Ich frage zweimal nach. Aber das „Hä?!“ bleibt. Es handelt sich offensichtlich um eine Sprecherverwirrung. Wer soll wann und wo anrufen (bei einer Postleitzahl)? Und wie soll das funktionieren?
Natürlich bin ich auf so etwas nicht vorbereitet und habe keine Münchner Ausweichadresse mit gültiger und belieferbarer PLZ im Hirn. Also schicke ich das Paket zu meinen Eltern. Denn natürlich wird das 600 Seelen-Dorf Barum von der DHL beliefert, sogar aus Venezuela!
Wenig später darf ich Aufträge unterschreiben und mit zwei Daumenabdrücken (kein Witz!) besiegeln. Dann kommen wir zur Bezahlung. Ich war schon vorher gespannt, was mich der Spaß kosten würde. Aber die Realität haut mich dann doch fast um: 816 Bolivares. Das entspricht beim offiziellen Wechselkurs ziemlich genau 100 Euro! Spätestens jetzt weiß ich auch, warum ich der einzige Kunde im Laden bin. Denn während ich mit dem Schwarzmarktkurs im Rücken über die 16 € lächeln kann, lächelt bei diesen Preisen kein Venezolaner.
Für diese 100 € kann mir die DHL aber nicht garantieren, dass die Versandstücke unbeschädigt ankommen, denn die Guardia Nacional öffnet gerne und robust ausgehende Pakete. Dafür ist die Lieferung an eine Ausweichadresse nicht mit zusätzlichen Kosten verbunden.
Vorm Rausgehen empfehle ich dem Personal, den Systemfehler wenigstens zu melden. Es wäre doch schön zu wissen, wer der DHL ins venezolanische System geschissen hat und wer dafür verantwortlich ist, die Scheiße wieder wegzumachen. Oder nicht, liebe DHL?
Ach ja, wer Lust hat, kann ja mal gucken, wo das Paket zurzeit festsitzt: Tracking-Nr: 1773629804.

(aktuell in: David, Panama. Da hatte ich letztes Jahr übrigens eine lustige Begegnung mit einem volltrunkenen Panameño, der uns auf Englisch erzählen wollte, warum er seine Freundin, die mit am Tisch saß, betrogen hatte. Er war aber so voll, dass nicht ein (keine Übertreibung!) gerader Satz aus ihm raustorkelte. Und wenn wir ihm mit den fehlenden Worten, die ein Satz so braucht, aushelfen wollten, hatte er sich vorgebeugt und uns mit „no no no!“ unterbrochen.

Noch Fragen…? No no no!

kompentenzteam der DHL-venezuela.
Kompentenzteam der DHL-Venezuela.

Frau mit Vogel

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Frau mit Vogel
(Guatemala 2008)
Gegenüber auf der anderen Straßenseite stand eine Frau und winkte mir mit beiden Armen zu. Eine großangelegte Geste, die mir galt…? Wer war diese Frau? Was wollte sie? – Ich blickte mich sicherheitshalber um. Und, ja, was wollte sie von mir?
Jetzt, da ich sie bemerkt hatte, fuchtelte sie noch ein wenig wilder. Ja, sie meinte eindeutig mich! Ich solle ihr bitte zu ihr kommen, sie brauche meine Hilfe! rief sie auf Englisch, genauer gesagt, sogar ziemlich Amerikanisch.
Eine kleine, dickliche Amerikanerin, allein um Hilfe bittend auf einer guatemaltekischen Straße… Mein Pfadfinderherz war aktiviert. Ich wechselte die Straßenseite. Lächelnd begrüßte sie mich. „Sie müssen mir helfen, mein Vogel sitzt da im Baum!“ – „Ihr Vogel…?!“ – Eine amerikanische Touristin hatte ihren Vogel in einem guatemaltekischen Baum sitzen? „Ja, dort sitzt er! Ich wollte ihn freilassen!“ – „What?!“ Ich hoffte, etwas falsch verstanden zu haben. Aber nein! Sie hatte eine Taube in einem Geschäft gekauft, um sie freizulassen. Mir stand ein großflächiges „Hä?!“ ins Gesicht gemeißelt. War die noch ganz dicht? – Das mache man so! sagte sie belehrend und sah mich ernst an. „Who?“ entgegnete ich. Who um alles in der Welt mache so etwas? – Das sei durchaus üblich so. Sie mache das auf jeder Reise. „Und andere übrigens auch!“ Wie sie noch schnell hinzufügte. – Ja, neh, sicher! Natürlich! Ich sonst ja auch…
Naja, wie auch immer. „Aber dann ist doch alles bestens! Der Vogel sitzt in Freiheit…“ – „Nein, gar nichts ist gut! Der Vogel fliegt nicht. Wir müssen etwas tun!“ – Ihm fliegen beibringen…? schoss mir durch den Kopf. Und wieso überhaupt „wir“? – „Wir müssen ihn wieder einfangen!“ – Aha! Der Sachverhalt war doch ganz klar. Der Vogel konnte nicht richtig fliegen, war also nicht überlebensfähig, der harten guatemaltekischen Wirklichkeit nicht gewachsen. Das ganze gutgemeinte Prinzip des Freilassens funktionierte so natürlich nicht mehr, wenn Freilassen plötzlich Verrecken bedeutete. Das leuchtete ein. Also musste der Vogel eingefangen und zurück in den Vogelladen gebracht werden, wo man sich adäquat und professionell um diesen flugunfähigen Vogel kümmern sollte.
Die Taube selbst saß gleichgültig und bewegungslos auf einem Ast, während um uns herum bereits einige Passanten stehen geblieben waren, die uns, die Frau, mich und den Vogel, beobachteten.
Meine Aufgabe sollte es nun sein, den Vogel zu schnappen. Die Frau selbst war zu klein, zu ungelenk und viel zu aufgeregt dafür. Sie versuchte, den Vogel mittels „Guzzi-guzzi“-Lauten abzulenken, während ich mich aus dem Vogelrücken heraus an den Baum heranpirschte. Und es klappte auch ganz gut – eigentlich. Also fast ganz gut, um es genau zu sagen. Denn der Vogel ließ sich hervorragend ablenken und mir gelang es auch, den Vogel an den Schwanzfedern zu fassen. Allerdings war das flugunfähige Vieh doch agil genug, um sich wieder loszureißen, was mehrere Folgen hatte. Erstens fingen die umstehenden Zuschauer zu kichern an, zweitens verlor die Taube eine Handvoll Schwanzfedern an mich und drittens kassierte ich einen strengen, vorwurfsvollen Blick der amerikanischen Vogelmutter.
Der Vogel hatte sich mit ein paar notdürftigen Flügelschlägen auf einen Nachbarzweig gerettet. „Du solltest ihn fangen und ihm nicht die Federn ausreißen!“ – „Ich hab doch versucht, ihn zu fangen!“ – „Aber doch nicht so!“ – Aha! Wenn sie besser ausgebildet war, bitteschön!
Weitere Passanten blieben stehen. Vor dem zweiten Versuch bekam ich neben Taubenmamas Anweisungen auch noch Ratschläge eines guatemaltekischen Vogelfangexperten. Ich sollte die Taube genau so fangen wie ein Huhn! – Richtig, muchas gracias auch noch mal!
Zweiter Anlauf: Wiederum Guzzi-guzzi und vorsichtiges Anschleichen. Da der zweite Ast ein wenig höher hing, musste ich mich auf Zehenspitzen anpirschen. Das Gekichere der Zuschauer war dieses Mal schon ein bisschen lauter. Der Hühnerfanggriff funktionierte – beinahe. Auch dieses Mal flatterte sich die Taube frei und schaffte es sogar auf ein benachbartes Hausdach. Ein Raunen ging durchs Publikum wie nach einer vergebenen Großchance im Fußballstadion.
Zu meiner eigenen Enttäuschung gesellte sich der vernichtende Blick der Vogelmama, in dem – ohne Übersetzungsverluste – ein international gültiges „Du kannst ja wohl gar nichts!“ mitschwang. – „Immerhin kann die Taube wieder fliegen!“ versuchte ich den zornigen Blick ein wenig aufzuweichen. „La paloma puede volar!“ übersetzte ich noch schnell, um wenigstens das einheimische Publikum auf meine Seite zu ziehen.
„Es sieht nicht so aus, als könne er für sich alleine sorgen!“ stellte die allwissende Vogelmama fest. Ich wähnte mich schon die Fassade hochklettern, als mein Blick auf eine Tüte Vogelfutter fiel, die am Baumstamm lag. „Er muss sich nur ein wenig stärken und erholen. Und dann wird das schon wieder!“
Glücklicherweise sah sie ein, dass uns keine andere Wahl blieb. Sie nahm die Tüte und warf eine Handvoll Futter ungelenk gegen die Hauswand, was zu spontanem Gelächter sowie vergnügtem Händeklatschen führte. Sie warf noch eine Handvoll gegen die Wand und einen wütenden Blick auf die amüsierten Umstehenden. Dann nahm ich ihr die Tüte ab und schleuderte eine Futterration zielgenau aufs Dach direkt neben die Taube. Wenigstens das hatte geklappt!
Ich verabschiedete mich von der Vogelmutter, ihrem Vogel und dem ausgezeichneten Publikum. Sie blieb noch, um ihrem Vogel ein wenig Gesellschaft zu leisten, und ich ging mit dem Gefühl, zumindest den Einheimischen eine gute Show geboten zu haben.

Apothekenumschau

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Apothekenumschau

Es hat mich erwischt! (Nein, ich bin nicht verliebt!)
Einige Tage nachdem Betty, meine Gastmutter, schnaufend durch Haus und Hof gelaufen war, kratzte es an meinen Mandeln und kribbelte es in meiner Nase. Zum einen bin ich froh, dass ich meinen beiden Outdoortage (Canyoning und Gleitschirmfliegen) hinter mir habe, zum anderen habe ich jetzt die Nase richtig voll.
Betty empfiehlt mir ein Medikament, das ich mir nicht verschreibungspflichtig in der Apotheke gleich um die Ecke holen kann. Ich versuche, das Positive in der Sache zu sehen. Da habe ich doch mal wieder einen verbrauchernahen Anlass, mir ein paar unbekannte spanische Vokabeln rauszusuchen. So weiß ich jetzt, das Schleim „flema“ heißt, sich anstecken „contagiarse“ und Popel „loro“. Schön! Das hätte ich sonst nie gelernt!
Das Wort „Pañuelos“ kannte ich schon, hilft mir aber nichts, denn schließlich sind wir in Venezuela, also in einem Land in dem das Klopapier knapp ist und – zumindest leuchtet mir diese Logik ein – damit auch die Taschentücher. Es gibt also keine: akute Zellstoffverknappung! Ich befinde mich in einer Apotheke wohlgemerkt und nicht beim Metzger! Dafür bekomme ich einen Packen Servietten, die zwar nicht so kuschelig weich wie Zewa Softies sind und nicht so viel „flema“ (ihr lernt also auch wichtige spanische Vokabeln) wie Tempos aufnehmen können, aber ich habe ja auch keine verwöhnte Nase, schließlich erledigt den Job zuhause auch die Küchenrolle!
Dann frage ich noch nach „algo para inhalar“, etwas zum Inhalieren, woraufhin mir die Apothekenfachangestellte einen „Inhalador“, einen Inhalator, andrehen möchte. Nein, ich möchte einfach etwas zum Inhalieren haben. Ich kassiere einen ungläubigen Blick, als hätte ich gerade ein Pfund Gehacktes bestellt. Das verstünde sie nicht. Ich könne doch Essig und Salz nehmen… aha! Ach, hatte ich es schon erwähnt, ich war noch immer in der Apotheke. Als Übersprungshandlung kaufe ich eine Tafel Mandelschokolade, die kann ich mir ja später mit Essig und Salz aufkochen… Die Schokoladenauswahl ist hier übrigens ganz ausgezeichnet!
Zurück zu Hause nehme ich meinen ersten Löffel Broxol, schließe die Augen und schmecke Venezuela / Südamerika. Selbst die Medizin ist hier so süß, dass einem die Zähne knirschen! Und auf der Flasche steht „adultos“ drauf, ist also für Erwachsene. Da möchte ich mir gar nicht ausmalen, wie die Kinderversion schmeckt.
Hätte ich das gewusst, hätte ich mir die Schokolade sparen können.

dolar paralelo

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Mercado negro – mercado rojo
oder: Was hat die Wirtschaftskrise mit Canyoning zu tun?

„Bolivares Fuertes“ heißt die Währung seit 2008. Mir ist klar, dass man Ironie nicht erklären oder zu deutlich darauf hinweisen soll (wie meine Oma schon sagte: „Bevor du Ironie erklärst, erschieß dich!“). Aber es vielleicht nicht allen klar, dass „fuertes“ stark bedeutet. Und zur venezolanischen Währung fallen mir nur wenige unpassendere Adjektive ein als „fuerte“. Da die Venezolaner gerne Bolos zu ihrer Währung sagen, fände ich „Bolos flojos“ eine angemessene, zugleich selbstironische Bezeichnung (wobei flojo so etwas wie „schwach/schwächlich“ bezeichnet). Aber man soll nicht zu viel Schabernack auf Kosten anderer treiben, zumal tatsächlich sehr viele Venezolaner unter der aktuellen Situation leiden (Inflation von 30-40 %, bei Lebensmitteln noch deutlich höher).
Eine Begleiterscheinung der Schwäche des Bolivars ist, dass ein Run auf alle härteren Währungen besteht, letztlich also auf alle anderen Währungen, mal abgesehen von der Ostmark, deren Bestände aber selbst in Venezuela weitestgehend aufgebraucht sind. Nun gibt es natürlich einen offiziellen Wechselkurs. Der liegt beim Euro bei 1:8,3. Aber bei meinem letzten Wechsel habe ich 1:49 bekommen und mein letzter Touranbieter hat mir angeboten, dass ich meine Tour in Euro für einen Kurs von 1:50 zahlen konnte (auf http://www.dollarparalelovenezuela.com/ nennt sich der Kurs „oficial paralelo“ und dort steht der Euro sogar bei 1:60 – wird täglich aktualisiert – Tendenz steigend!). Das bedeutet, dass für mich gerade alles erschreckend günstig ist. Natürlich ist dieses Tauschen illegal. Aber es praktiziert quasi jeder.

Putzig wird das Ganze in Santa Elena, einer Stadt nahe der brasilianischen Grenze. Da hier so ein großer Grenz- und Devisenverkehr herrscht, hat sich der Staat quasi dem Schwarzmarkt ergeben. Deshalb sieht man die Geldwechsler offen auf der Straße herumlaufen mit ihren typischen Hüftgürteln, in denen batzenweise Bolivares stecken. Damit man sie besser erkennt, tragen sie rote Westen, auf denen eine Nummer sowie ihr Name stehen. Hier wird die Illegalität höchst offiziell verwaltet! Das Geldwechseln bleibt zwar irgendwie verboten, da illegal in Venezuela, aber ähh… naja… hier in Santa Elena machen wir mal eine Ausnahme!

Dieser Schwarzmarktkurs führt dazu, dass ich für meinen Einkauf (siehe Foto: Tomaten, Avokado, Bananen, Aji (kleine süßer Paprika), Physalis (eine kolumbianische Strauchfrucht aus 104% Vitamin C / zu deutsch: Kapstachelbeere, noch nie gehört…) sowie 8 Dosen Polar Pilsen (ich weiß, ich Arsch kaufe Dosen, aber dieses Bier ist leider lecker – selten für venezolanisches Bier – und nur in Dosen erhältlich) und eine etwa säuglingsgroße Papaya) gerade mal 4 € bezahle. Natürlich ist dieser Einkauf nur für mich – schwarzmarktbedingt – billig.

Dieses etablierte Tauschsystem führt dazu, dass letztlich alle Firmen, die etwas mit dem Ausland oder mit Tourismus zu tun haben, selbstverständlich Konten im Ausland haben und anbieten, dass man (also ich) gerne dorthin überweisen kann – in Euro zu Schwarzmarktkurs. Das ist völlig gängig und normal.
Mein extrem seriöses Reisebüro in Mérida verkauft mir einen Flug von Caracas nach El Habana/Cuba und zurück für 3000 Bolivares Fuertes, das entspricht nach offiziellem Kurs 350 Euro. Ich überweise stattdessen wahlweise in die USA, nach Spanien oder natürlich nach Panama (wozu brauchen wir eigentlich noch eine Schweiz?) 62 Euro.
Wie lange das alles hier noch gut oder schlecht geht, lässt sich schwer sagen. Die Propagandamaschine läuft weiter – wenn auch ohne Chavez nicht mehr so rund. Ich durfte heute Zeuge davon auf dem Plaza Bolívar (wo sonst?!) werden. Da war eine Wahlkampfveranstaltung der PSUV (Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas), das Publikum größtenteils hübsch in rot gewandet und da wurde böse gegen die Rechten geschimpft und an die Erfolge Chavez‘ erinnert.
Aktuell wird in Venezuela von einer „guerra económica“ gesprochen, also einem „Wirtschaftskrieg“! Und die Sozialisten geben der Wirtschaft die Schuld für die katastrophale Situation, während sich die Politik ohnmächtig gibt. Aha! In der aktuellen Situation kann man leider kein großes Vertrauen in das wirtschaftliche Geschick der Regierung haben. Das geht hier gerade ziemlich steil den Bach herunter!
Apropos „den Bach herunter“, kommen wir zu etwas Positivem! Morgen mache ich Canyoning und dabei geht’s im Neoprenanzug auch den Bach herunter.

4 €- Einkauf
4 €- Einkauf