Pulse of Europe oder: Kirchentag für Atheisten
Pulse of Europe oder: Kirchentag für Atheisten
Ich weiß nicht, was Ihr von der Bewegung „Pulse of Europe“ haltet oder ob Ihr schon mal bei einem Treffen ward. Ich selbst bin schon mal an einem Sonntag zum Stuttgarter Marktplatz geradelt und habe artig den Pro-Europäer gegeben. Und natürlich bin ich auch ein entschiedener Pro-Europäer. Ich hätte sogar gerne eine doppelte Staatsbürgerschaft, ja, ich wäre gerne ein Deutsch-Europäer und bekenne mich auch dazu. Aber trotzdem weiß ich nicht so recht, wie ich mich zu „Pulse of Europe“ positionieren soll.
Von der Stimmung her ist die Veranstaltung wie Kirchentag für Atheisten und, ganz ehrlich, ich brauche keinen Kirchentag, auf dem statt lila Fahnen nun blaue mit gelben Sternen geschwungen werden. Es wird gemeinsam gesungen und dann ein Glaubensbekenntnis abgelegt (hier zu Europa, ist klar!). Okay, denke ich, okay! Kann man machen. Und in dunklen Zeiten mit so vielen hässlichen, dummen, anti-europäischen und zersetzenden Tendenzen kann ein öffentliches, positives Bekenntnis natürlich nicht schaden.
Aber inhaltlich ist mir diese sonntägliche Pro-Pro-Diskussion, bei der Kritik nicht erwünscht ist, einfach zu dünn. Denn dieser europäische Status Quo, den wir erreicht haben, ist leider ja auch keine Zukunftsvision, sondern bloß eine rosarote Erinnerung an ein schönes, funktionierendes europäisches Miteinander, das längst tiefe Risse hat und an manchen Stellen bereits auseinanderbricht.
Was hilft also dieser „Pulse of Europe“-Geist, wenn auch er bloß in der Vergangenheit Zuhause ist? (Okay, zumindest nicht so tief im Gestern wie Pegida, aber dennoch…!) Vielleicht hilft dieses Bekenntnis einem persönlich, zu den Guten zu gehören, ein Pro-Europäer zu sein.
Leider wird, meines Erachtens, in der Öffentlichkeit zu schnell das Fass der „Europagegner“ aufgemacht. Jeder, der Europa oder die EU kritisiert, egal ob von links oder rechts, vorne oder hinten, unten oder oben, ob er dabei destruktiv oder konstruktiv ist, kommt in die Tonne „Europagegner“. Und viele gehören dort rein, keine Frage! Aber die Politik oder die Medien machen es sich, meiner Meinung nach, gerade viel zu einfach, da sie auf diesem Wege auch unbequeme und kritische Geister, die ein anderes, besseres, gerechteres Europa einfordern, als Europagegner brandmarken und damit entsorgen können. (Die Frage, ob nicht Politiker wie Schäuble mit ihrer Austeritätspolitik und ihrer neoliberalen Alternativlosigkeit die wahren Europagegner sind, kann an dieser Stelle nicht ausführlich diskutiert werden.)
Und was hilft uns nun diese „Pulse of Europe“-Bewegung? Befreien wir uns von unseren Schulden, unseren kleinen Sünden mit einem sonntäglichen „Europa Unser“…?
Ich denke, das reicht nicht! Denn die Schuld ist größer und die Richtung ist falsch.
Mai 7, 2017 um 8:07 am
Ich sehe das gar nicht so unähnlich, auch wenn ich im Detail abweiche. (Der Begriff “neoliberal“ ist so ein pet peeve von mir. An Schäuble ist nun wirklich sehr wenig neo, und fast nichts liberal.) Die EU macht sehr vieles falsch, und in gewisser Weise würde ich mich sogar als Gegner sehen, wie ich auch ein Gegner des deutschen Staates bin. Aber wenn die Alternative Pappnasen wie Weidel und Le Pen sind, dann halte ich Merkel und Juncker für das wesentlich kleinere Übel.