Schmand
Bächarschmand
Bächarschmand
Nahe unserer WG gab es einen kleinen türkischen Laden, bei dem man neben dem obligatorischen Döner auch andere Lebensmittel kaufen konnte. Er hatte, schon bevor jeder Supermarkt seine Tore bis weit in die Abendstunden geöffnet hatte, sehr verbraucherfreundliche Öffnungszeiten, ihm waren christliche Feiertage schnuppe und zudem offerierte er Bier. Ein (schnörkelloses aber völlig) überzeugendes Gesamtkonzept, wie ich noch heute finde.
Wir besaßen in unserer WG ein praktisches plastisches Biertragerl, in das 6 Bier hinein passten, mit dem wir abends mal eben in Hausschuhen Bier holen konnten. Okay, zugegeben, keiner von uns besaß wirkliche Hausschuhe, es soll hier aber trotzdem als Metapher dafür herhalten, wie unmittelbar wir uns diesen oft recht aufdringlichen Bierwunsch erfüllen konnten.
Es war Sonntagabend. Es bestand akuter bierbedingter Handlungsbedarf und ich war an der Reihe. Ich quengelte nicht rum, argumentierte nicht und suchte niemanden, der noch dringender mit dem Bierholen an der Reihe hätte sein können. Denn es waren nur hundert Meter, es regnete nicht, ich war durstig und wollte ohnehin eine rauchen. Das Bierholen kam fast einer Belohnung gleich. Und – das kann ich jetzt schon verraten – auch ich wurde für das Bierholen belohnt. Denn wenn ich nicht gegangen wäre, hätte ich folgendes Ereignis nie erlebt:
Unmittelbar vor dem Eckladen tauchte aus der anderen Richtung eine Frau auf, die gleichzeitig mit mir das Geschäft erreichte. Ich ließ ihr den Vortritt und folgte ihr. Während ich meinen Sechserträger mit Bier auffüllte, bestellte sie an der Bedienungstheke beim türkischen Ladenbesitzer. Als ich mich zum Zahlen dazugesellte, ließ sie gerade den Satz fallen, der mein Leben verändern sollte: „Ich hätte gern ein’ Becher Schmand.“ Okay, das klingt vermutlich erst einmal recht unspektakulär. Aber geben Sie dem Leben eine Chance!
Denn während die Frau auf ihren Schmand wartete, kniffen sich die Augen der Bedienung zusammen und ein deutlich erkennbares Fragezeichen in der Längsfalte zwischen den Augenbrauen tauchte auf: „Bächarschmaaahnd?“ Dieses Wort muss man sich lautmalerisch und mit mindestens zwei bis drei Fragezeichen sowie türkischen Akzent vorstellen „Bächarschmaaahnd??“ Versuchen Sie es selbst einmal! „Bächarschmaaahnd??“

Was völlig klar war, der Frau neben mir jedoch nicht: der Türke hatte natürlich keinen blassen Schimmer, was um alles in der Welt Bächarschmaaahnd sein sollte, drum wiederholte er so genau, wie es ihm möglich war: „Bächarschmaaahnd…??“ Die Frau lächelte und antwortete darauf völlig empathiefrei: „Ja, ein’ Becher Schmand!“ – Und wie durch ein Wurmloch zwanzig Sekunden zurückgeworfen, wiederholten sich das Zusammenkneifen der Augen, der Faltenwurf der Stirn und die verständnislose Rückfrage: „Bächarschmaaahnd??“ Und man konnte förmlich sehen, wie dieses Bächarschmand-Wortungetüm im Gehirn Stück für Stück in alle Einzelteile auseinandergenommen wurde und doch nicht sinngebend zusammengesetzt werden konnte und zwar mit dem deutlichen und weithin sichtbaren Resultat: Was um alles in der Welt ist Bächarschmand? – Aber die Frau erkannte nichts und nickte erneut: „Ja bitte!“
Dankbar diesem fein inszenierten Schauspiel beiwohnen zu dürfen, übernahm ich die nun mir zustehende Rolle und deutete in Zeitlupe mit dem Zeigefinger in die Glasvitrine auf einen ebensolchen Becher und sprach genüsslich dieses herrliche deutsche Wort aus: „Da, Schmand!“ – Die Augen des Türken weiteten sich, drohten beinahe vor Freude aus ihren Augenhöhlen zu hüpfen. Er griff in die Vitrine, nahm diesen Becher heraus, hielt ihn glücklich in seinen Händen und las mit einem Kaiserlächeln im Gesicht vor, was darauf stand: „Aaah! – Schmaaahnd!“
In diesem Augenblick erschien mir Gott. Denn ich war dabei gewesen und hatte diese Situation miterleben dürfen! Dankbar ging ich nach Hause. Ich hatte mir das strahlende Lächeln des Türken geliehen und sprach dieses zauberhafte deutsche Kleinod mit türkischem Akzent und Falte zwischen den Augenbrauen vor mich hin: „Bächarschmaaahnd?? – Aaah! Schmaaahnd!“
Ich würde mir wünschen, dass auch Sie, wenn Sie das nächste Mal im Supermarkt Schmand einkaufen, ein breites Lächeln aufsetzen, Ihre Stirn in Falten werfen und halblaut für sich selbst sagen „Bächarschmaaahnd??“. Probieren Sie es auch dann aus, wenn Sie gar keinen Schmand kaufen wollen, selbst bei Schmandallergie. Schnappen Sie sich einen Becher und tun Sie es! Ja, trauen Sie sich! Sie müssen es ja nicht sooft und so laut sagen, dass Sie gleich eingeliefert werden!
„Bächarschmaaahnd??“