salto angel
Buscama
Buscama – der Bettenbus
Endlich! Die Evolution des venezolanischen Busreisens hat mich ganz nach oben gespült. Nach meiner Tour zu den Angel Falls, von denen ich in einer 6-Sitzer-Cessna zurückgeflogen bin (so soll reisen sein!), wartet ein Ticket für einen Buscama (wörtlich: „Busbett“) von Ciudad Bolívar nach Santa Elena auf mich. Diese Busse sind pünktlich, bequem, haben Klimaanlage und halten nicht an jeder Milchkanne.
Dabei funktioniert die Metapher „an jeder Milchkanne halten“ in Venezuela nicht wirklich, da es dafür einfach nicht genügend Milch gibt – und damit auch keine Kannen! Das liegt wiederum daran, dass der Milchpreis, dem Sozialismus sei Dank, vom Staat festgelegt wird, sodass sich alle sozialistischen Schwestern und Brüder Milch leisten können. Da die Bauern für die Milch aber so wenig gekommen, wird die Milch lieber veredelt und gar nicht erst als Milch auf den Markt gespült/gegeben. So bringt diese schöne Idee von der günstigen Milch leider nichts, weil genau deshalb gar keine Milch in den Regalen landet. Bravo!
Aber ich sitze (auch ohne Milch) in der heißen Ciudad Bolívar am Terminal und warte auf meinen Buscama, der schon eineinhalb Stunden Verspätung hat. Der Venezolaner als solcher wartet, ohne zu maulen. Auch als der Bus endlich da ist, aber sich die Tür minutenlang nicht öffnet. Der Venezolaner stellt sich artig an – an der Tür, an der Gepäckluke, letztlich an jeder verfügbaren Schlange. Und wartet…
Endlich steigt der Hilfsmokel aus, streckt sich wie nach einem erholsamen Schlaf und geht erst einmal davon, um sich und dem Busfahrer „Refrescos“ (Erfrischungsgetränke) zu kaufen. Der Sozialismus lehrt uns – beziehungsweise mich – Geduld. Schon eine halbe Stunde später ist das Gepäck verstaut und ich sitze auf meinem Platz, erste Reihe im Obergeschoss, Beinfreiheit, weit rückstellbarer Sitz. Alles gut! Nur… Es ist immer noch verdammt heiß! Die Aire (Klimaanlage) schickt ein mit modernster Technik kaum messbares Lüftchen herab.
Keine Frage, der Motor läuft. Denn in Venezuela laufen alle Motoren immer! Man weiß ja, dass ein laufender Motor kaum kaputtgehen gehen kann. Nur das lästige An- und Ausschalten macht ihn auf Dauer mürbe. Und das passiert in Venezuela nicht, in einem Land, in dem Pissen teurer ist als Volltanken. Das ist keine Metapher! Probiert einfach mal beides an einer venezolanischen Tankstelle aus und ihr werdet sehen!
Laufender Motor heißt, Klimaanlage müsste auch laufen. Aufgepasst: Konjunktiv! Der Venezolaner reagiert darauf mit Schwitzen und Warten und einer Kombination daraus: mit schwitzendem Warten. Keine Reaktion, kein Protest! Schließlich gehe ich runter und bitte, die Klimaanlage hochzudrehen. Der Fahrer signalisiert mir, sie sei bereits voll aufgedreht. Aha! Ich schau ihn fragend an, ob das sein Ernst sei. Daraufhin meint er, weiter hinten im Bus würde sie besser laufen. Ich packe meine Sachen und gehe nach hinten, wo noch Plätze frei sind, und in der Tat ein erfrischendes Lüftchen weht. Scheiß auf meine Sitzplatznummer!
Die Fahrt soll 10 Stunden dauern. Da wäre ein bisschen Schlaf doch ganz schön. Ich lese mich ein wenig müde und mache die Äuglein zu. Aber so recht funktioniert das Einschlafen nicht. Gerade bin ich eingenickt, da hält der Bus, Licht geht an, Leute steigen geräuschvoll ein und aus. Dann ist’s wieder dunkel und ich wach. Hmmm! Das nächste Mal, als ich gerade schlafe, weckt mich ein Zeigefinger, der eindringlich an meinen Oberarm tippt. Eine Uniform und ihr Gesicht schauen mich an. Pasaporte! Aha! Straßenkontrollen sollen auf der Strecke nach Santa Elena, das direkt an der brasilianischen Grenze liegt, hoch im Kurs liegen. Zumindest auf diese Auskunft scheint Verlass. – Ich kann nicht einschlafen. Lesen… Ein anderer Zeigefinger piekt auf die gleiche Stelle. Im Halbschlaf zücke ich meinen Reisepass, aber dieses Mal müssen alle aussteigen. Der Bus ist bereits leer. Bravo, ich habe wohl tatsächlich geschlafen. Draußen stelle ich mich in die Schlange, zeige meinen Pass und schlumpfe wieder auf meinen Platz. Matschig und müde sitze ich dort, knusper ein paar Tostones (Bananenchips) und schließe wieder die Augen.
Das offenbar geschulte Personal der Guardia Nacional trifft auch im dritten Versuch den Triggerpunkt auf meinem Oberarm. (Ich springe auf und salutiere.) Schlaftrunken will ich schon aus dem Bus wandeln. Aber dieses Mal muss ich meinen Rucksack mitnehmen. Draußen ist es inzwischen hell. Die Passagiere stehen mit dem gesamten Gepäck in Männlein- und Weibleinreihen. Ich stelle mich hinten an, werde aber von einem Nationalgardisten in ein kleines Zelt geleitet und dort gesondert untersucht. Dort muss ich alles Mögliche auspacken. Was suchen sie? Man hört so Geschichten, dass sie von Touristen gerne Geld haben wollen… Ich frag, ob ich tatsächlich alles auspacken soll und der relativ junge Mann sagt wörtlich: nein, die Hälfte! Ich packe also circa die Hälfte aus, zeige meinen Pass und, oh Wunder, das war’s!
Noch eine Stunde und ich bin in Santa Elena. Jetzt brauch ich erst einmal ein Bett und Schlaf. So hatte ich mir die Fahrt in einem Buscama nicht gewünscht, aber innerlich natürlich doch so ähnlich vorgestellt. Vorurteilsfreies Busfahren in Venezuela…? Nicht mit mir!
Qué más?! Und sonst so?!
– An den Angel Falls / Salto Angel gewesen, höchster freifallender Wasserfall der Welt (alle Fakten siehe Wikepedia o.ä.)
– abgefahrene Fahrt in einem schmalen Holzkanu (mit 16 Personen besetzt!) den Rio Churrún zu den Angel Falls hinauf – bisschen wie Rafting flussaufwärts. RESPECT an den Bootsmann!
– Laguna de Canaima mit etlichen schicken kaskadenartigen Wasserfällen. Hinter einigen kann man entlang laufen: spektakulär!
– cooler Rückflug in 6-Sitzer-Cessna.
– Weiterfahrt nach Santa Elena, von dort 5-Tages-Tour zum Roraima, dem höchsten (und vermutlich gefräßigsten) Tafelberg der Welt. Zum Angeben für den nächsten Geographen-Stammtisch!






Kaltes Bier in heißer Stadt
Kaltes Bier in heißer Stadt
oder: Wenn die Idee besser ist als die Wirklichkeit, hilft Demut!
Ich sitze am Orinoco in Ciudad Bolívar, mit bürgerlichem Namen heißt die Stadt Santo Tomé de Guayana de Angostura del Orinoco, was mal ordentlich Eindruck auf dem Briefkopf macht. Da braucht man auf dem Amt schon ein gescheites großflächiges Stempelkissen. Jedenfalls hat der allgegenwärtige Símon Bolívar genau hier die Unabhängigkeit Großkolumbiens von den spanischen Drecksbesatzern erklärt und sich damit den Stadtnamen ehrlich verdient.
Aber nicht ihre historische Bedeutung noch ihre Hafenfunktion nicht einmal ihre regional bedeutende Viehwirtschaft hat mich in die Stadt am Orinoco gelockt. Nein, von hier aus soll es morgen per Propellermaschine zum Angel Fall, dem Salto Angel gehen, dem höchsten Wasserfall der Welt, der im Übrigen in der Sprache der Pemón „Kerepakupai Merú“ heißt. Das ist deshalb interessant (oder auch nicht), weil sich Hugo Chávez höchstpersönlich dafür eingesetzt hat, dass der Wasserfall künftig wieder seinen ursprünglichen Namen bekommt. Denn warum soll man ein durch und durch venezolanisches Weltwunder nach einem dämlichen Gringopiloten benennen, der nichts weiter im Gold berauschten Sinne hatte, als sich persönlich zu bereichern? Was zum einen typisch amerikanisch ist, fremde Länder auszubeuten, und obendrein in höchstem Maße unsozialistisch! Ob Chávez tatsächlich aus Ärger über diesen Namensstreit gestorben ist, darüber streiten sich noch Geschichtsschreiber (und Mediziner).
Besagtes Flugzeug, mit dem Jimmy Angel (mit dem Namen hätte er nicht Pilot sondern Rockstar werden sollen!) auf dem Plateau des Tafelbergs über dem Wasserfall landete, steht heute in der Ciudad Bolívar. Da schließt sich der Würfel und ich bin wieder in der Stadt am Orinoco!
Bevor ich nun aber zum Sitzen komme am Ufer des dicken fetten Orinocos, bin ich durch die Altstadt geschlendert. Und man muss wirklich schön langsam schlendern. Erstens, weil es schweineheiß ist, und zweitens, weil die koloniale Altstadt so klein ist, dass man sonst schon nach fünf Minuten damit fertig wäre. Klein aber fein! möchte ich anmerken. Kolonialhäuser, hübsch und farbenfroh angepinselt. So frisch, dass man die Tropfen noch auf den Gehsteigen sehen kann. Die Stadt hatte sich nämlich um den Titel „Weltkulturerbe“ der UNESCO beworben und Chávez persönlich hatte sich derzeit dafür stark gemacht und einen Aufruf an sein ciudadbolivarisches Volk gestartet, es möge doch seine Häuser streichen. Darauf das Volk: Lieber Despot, weder Farbe noch Geld sind unser eigen, es gehört doch alles dem Volke! Daraufhin musste selbst der große Hugo Chávez schmunzeln und gab eine Runde Farbe für alle aus, auf dass die Häuser der Stadt bunt wurden. Und so geschah es!
Und tatsächlich strahlt die Stadt auch heute noch farbenfroh. Wenn man aber genauer hinsieht, erkennt man, dass die Hauswände einfach übergestrichen worden sind. Es wurde nichts neu verputzt oder ausgebessert. Dafür war dann wirklich kein Geld mehr da. Die Ciudad Bolívar hat den Titel übrigens bekommen. (Ob Chávez tatsächlich aus Freude darüber gestorben ist, ist hingegen nicht eindeutig bewiesen.)
Nun sitze ich also tatsächlich am Orinoco, der sich mächtig und ruhig an mir vorbeischiebt. Die Stadt wurde hier gegründet, weil der Fluss hier an seiner Verengung nur 300 Meter breit. Verengung heißt (ich weiß, ich bin heute recht belehrend. Aber U- und E-Reiseberichte schließen einander nicht grundsätzlich aus!) im Spanischen „Angostura“. Und nach diesem Wort und Ort wurde der Angosturabaum benannt, der für den Angustora-Bitter, einem Bitterlikör, verantwortlich ist, den ein deutscher Arzt gegen Tropenkrankheiten wiederum für Bolívars Truppen entwickelt hat. Da schließt sich der nächste Würfel! (Da das alles lange vor Hugo Chávez geschah, sind sich die Historiker relativ sicher, dass das alles nichts oder zumindest wenig mit dem Tod des Comandantes zu tun hat.)
Der mystische Orinoco schiebt sich währenddessen gleichgültig an mir vorüber. Seine Mystik mag sich mir allerdings nicht erschließen. Dafür ist es leider zu heiß und zu windstill. Ich sitze einem großen offenen Restaurant mit massiven Holztischen und -stühlen. Es gibt nichts zu essen und es gibt nur einige wenige Gäste, die eines gemein haben: Vor ihnen auf den Tischen stehen viele leere Bierflaschen. Die Bedienung stellt immer nur neue kalte Bierflaschen auf den Tisch und räumt sie erst am Schluss ab, wenn bezahlt wird. Spart die Buchführung, erfordert aber große Tische. Denn die Flaschen sind klein (0,222 l), die Hitze ist groß, Resultat: volle Tische und ein extrem hoher Schweiß-Bier-Koeffizient!
Auch ich hatte diesen Plan, hier unten am Fluss Erfrischung zu finden, ein bisschen zu lesen, zu schreiben, Bier zu trinken. Aber manchmal ist eine Idee einfach besser als die Wirklichkeit. „Kaltes Bier in heißer Stadt“ klingt, meines Erachtens, nicht besonders komplex! Aber manchmal sind es Kleinigkeiten, die dir einen Strich durch die Rechnung machen. Besonders wenn sie sich häufen:
1. Es ist einfach viel zu heiß!
2. Die Ventilatoren vollführen zwar anmutige Rotationsbewegungen dort oben am Dach, sind aber nur von dekorativer Funktion.
3. Das einzige, wenngleich kalte Bier, das serviert wird, ist „Polar Light“! Nur so viel: Dahingegen schmeckt stark gechlortes Leitungswasser erfrischend und lecker (bei etwa dem gleichen Alkoholgehalt!). Aber selbst gechlortes Leitungswasser haben sie hier nicht!
4. Es läuft „Vallenato“, eine unnütze, schreckliche Musik, über die man wenig sagen kann, ohne sich maßlos aufzuregen. (Es streiten sich noch heute Musikwissenschaftler darüber, ob Hugo Chávez tatsächlich in seinen letzten Stunden Vallenato gehört haben soll. Angeblich, um ihm den Abschied von den schönen Dingen des Lebens zu erleichtern.)
5. Mein Zeigefinger ist so feucht, dass mein Ebook streikt und es sich nicht mehr umblättern lässt!
Was hilft in solchen Situationen? Demut! Ich beschließe, dass es mir saugut geht, lasse mein gechlortes Leitungswasser, äh, Polar Light stehen, verlasse den Ort und gehe mir einen frischen Orangensaft pressen! Und lächele dazu im Rhythmus der zum Glück immer leiser werdenden Vallenatoklänge…



