Die doppelten Integrationsverlierer
Die doppelten Integrationsverlierer!
Gedanken zum Tag der Deutschen Einheit oder: noch ein Wessi, der den Ossis erklärt, was sie alles falsch gemacht haben.
Kürzlich habe ich ein paar gute Artikel zum besseren Verständnis des Ostens gelesen. Sollten viele andere auch mal tun. Viele Journalisten, Politiker und sonstige Wessis, die immer noch glauben, sie wüssten schon längst Bescheid. Tun sie aber nicht, taten sie nie und Mühe haben sie sich dabei eigentlich auch nicht gegeben.
Denn leider ist es, meines Erachtens nach, so, dass ein Großteil der Ostberichterstattung durch die Westbrille erfolgt ist und weitestgehend heute noch erfolgt. Die Wiedervereinigungsgewinner haben praktischer Weise auch gleich noch die Geschichtsschreibung über die Verlierer mit übernommen.
Auf diese Weise wurde beispielsweise nicht nur die Ostwirtschaft als unproduktiv abgestempelt, sondern auch die Ostdeutschen als solche gleich noch dazu. Man darf in diesem Zusammenhang auch einfach mal von Demütigung sprechen. Der Begriff ist durchaus angebracht, sofern man nicht alles von der rationalen, ökonomischen (Besserwessi-) Sichtweise betrachtet. Das kann man zwar mit einem maroden Wirtschaftssystem so machen, aber es wird nicht den Millionen Lebensbiographien der Ostdeutschen gerecht.
Vielleicht sollten sich die Politiker nicht so viel mit Wirtschaftsheinis unterhalten, sondern mal, zumindest hin und wieder, mit Soziologen und Psychologen. Die könnten vielleicht besser erklären, wozu es führt, wenn Menschen über Jahrzehnte hinweg Anerkennung und Wertschätzung versagt bleiben. Denn nur wer selbst Wertschätzung erfährt, wird auch andere wertschätzen. Menschen, die in einem toleranten und respektvollen Umfeld aufwachsen, werden eher zu toleranten und respektvollen Menschen werden.
Das lässt sich genauso auf Integration übertragen. Wer gut in unsere Gesellschaft integriert ist, wird eher bereit sein, andere Menschen zu integrieren. Und das ist im Osten Deutschlands leider nicht überall gelungen! Viele fühlen sich nicht gehört, nicht beachtet, nicht gewertschätzt und sind nicht vollständig in unsere Gesellschaft integriert. Und das seit über 25 Jahren! Man muss sich fast wundern, wie das solange gut gehen konnte. Andererseits, es ist ja gar nicht gut gegangen, sondern es war einfach nur verhältnismäßig ruhig, da es kein Ventil gab. Jetzt ist die Schweigespirale durchbrochen und die aufgestaute Wut der Nicht-Integrierten trifft die da oben, die zum Teil immer noch nicht wahrhaben wollen oder durch ihre Westbrille, die ihnen doch bisher immer Recht gegeben hatte, gar nicht können.
Und zum anderen trifft diese Wut insbesondere jene, die es nun zu integrieren gilt. Zwar scheiße, aber irgendwie gar nicht mehr so seltsam oder?
Oktober 4, 2017 um 1:49 pm
Wertschaetzung ist vielleicht sogar ein bisschen hoch gegriffen, denn die wird ja in der Regel an Leistung gekoppelt und dass es fuer Westdeutsche evtl schwierig war zu verstehen, was genau jetzt Ossis geleistet haben, wenn das Endprodukt ein maroder Staat war, kann ich ja noch nachvollziehen. Ich denke, was stark zur mangelnden Integration und zur Entfremdung beigetragen hat, ist, dass einfach sehr lange null Interesse daran bestand, einfach mal zuzuhoeren und zu fragen, wie das Leben denn nun so war und was man so fuer Einsichten und Erfahrungen gewonnen hat. Ich nehme mich da als gerade-noch-vor-der-Wende-Geborene gar nicht aus, ich habe auch selten aktiv nachgefragt, wie das denn nun damals war und von der Schule gab es wirklich ueberhaupt gar keinen Impuls, die vorhergegangenen 40 Jahre als etwas zu betrachten, das es lohnen wuerde, zu verstehen. Es wurde schlicht totgeschwiegen. Je laenger ich aus der Distanz darueber nachdenke, habe ich auch immer staerker das Gefuehl, dass eine richtige Aufarbeitung noetig waere. Das ist natuerlich einfach zu fordern fuer jemanden, der niemals als muendiger Buerger in einer Diktatur gelebt hat, aber wenn meine Generation nicht begreift, wie die Lebenwirklichkeit damals aussah, wird das mit der Wertschaetzung der Demokratie und Diversitaet (und dem Verstehen der spezifischen ostdeutschen Probleme) sicher nicht leichter.
Oktober 4, 2017 um 2:35 pm
absolut!
Danke für die Antwort und die lustigen Umlaute…
Das Problem mit dem Begriff „Wertschätzung“ trifft ja letztlich genau das Problem unserer Gesellschaft, in der es nur um ökonomisch messbare Werte geht. Gilt ja ähnlich auch für „Arbeit“, die nur dann zählt, wenn es sich um „Lohnarbeit“ handelt!
Oktober 7, 2017 um 12:12 pm
Ja, so ist das halt im Kapitalismus, habe ich gelernt. Wobei in New York, einer der Hauptstaedte des Kapitalismus das ehrenamtliche Engagement unglaublich wertgeschaetzt und quasi von jedem, der ohne staedtische oder staatliche Unterstuetzung seine Miete zahlen kann, regelrecht eingefordert wird.
Oktober 6, 2017 um 12:30 pm
Hat dies auf tommiboe rebloggt.