Steuertricks
Über Kindergeld in Zeiten des Populismus‘
Über Kindergeld in Zeiten des Populismus‘
Es ist der typische Reflex, dann aufzuschreien, wenn sich jemand, der (weit) unter uns steht, auf Kosten der Solidargemeinschaft bereichert. Egal, worum es geht. Die Bereitschaft, nach unten zu treten, ist enorm groß. Aktuelles Beispiel: das Kindergeld.
Wichtig bei der Debatte ist, möglichst unsachlich einen komplexen Sachverhalt für Stimmungsmache zu benutzen, sodass der Dreiklang hängen bleibt: „Ausländer, Kindergeld, Betrug!“ – Diesen Satz in der Öffentlichkeit möglichst oft wiederholen, damit er auch bei allen genau so in Erinnerung bleibt. Also: „Ausländer, Kindergeld, Betrug!“
Sprache ist Macht. Ebenso wichtig: Auch hier sofort von Betrug und Betrügern sprechen, obwohl die allermeisten Kindergeldzahlungen nach EU-Recht ablaufen, hingegen betreiben die Reichen und die Großkonzerne, die – und zwar seit Jahrzehnten – Milliarden an der Steuer vorbeischieben, lediglich Steuertricks. Ach, wie süß, sind sie nicht goldig, diese kleinen Trickser!
Nachdem alle Zahlen möglichst unrefklektiert in einen Topf geworfen wurden, betrog uns der Ausländer beim Kindergeld in 2017 um mehr als 300 Millionen Euro.
Blöd nur, dass diese Zahlen nicht mehr so gut funktionieren, wenn man sich die Sache mal genauer anschaut. Denn mehr als ein Zehntel dieses Betrages geht an deutsche Familien, die selber im europäischen Ausland leben. Auch sagt die Bundesagentur für Arbeit selbst, dass lediglich der Geldfluss ins Ausland angegeben wurde, also dabei der Sitz des Kontos und nicht der Wohnsitz des Kindes berücksichtigt wurde. Viele dieser Kinder leben also in Deutschland, während sich das Konto der Eltern im Ausland befindet. Ich bin verwirrt…
Wie groß ist nun der Betrug tatsächlich? Die Bundesagentur für Arbeit spricht von „einzelnen Missbrauchsfällen“ in NRW, ansonsten fände bei ausländischen Arbeitern beim Kindergeld „so gut wie kein Missbrauch statt“!
Trotzdem, so ist das nun mal in populistischen Zeiten, wird schon von einer Indexierung von Ländern gesprochen, was dem Diskriminierungsverbot der EU widerspricht. Österreich legt schon mal im Alleingang vor und die CSU findet mit Sicherheit auch Begeisterung daran. Denn es sind im Herbst Wahlen und da kann es ja nicht schaden, gegen ausländische Betrüger vorzugehen.
Kann aber auch gut passieren, dass bei so vielen gefühlten Fakten und gefühlten Wahrheiten im Herbst nur ein gefühlter Wahlsieg für die CSU rausspringt…